: Im Zweifel immer für die Sicherheit
■ Schwerpunkte im jetzt diskutierten Gesetzespaket bilden Strafverschärfung, Sicherungsverwahrung und Therapiepflicht
Der Verweis auf zahlenmäßige Dimensionen wirkt leicht zynisch, ist aber sinnvoll, wenn über gesellschaftliche Konsequenzen diskutiert wird. So bewegt sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die im Zusammenhang mit Sexualtaten getötet wurden, in den letzten Jahren konstant unter 20 pro Jahr. Zum Vergleich: Durch Mißhandlung seitens der Eltern kamen 1995 immerhin 68 Kinder ums Leben.
Viel größer ist die Zahl der polizeilichen Anzeigen wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern. Sie liegt relativ konstant bei rund 13.000 pro Jahr. Zu Verurteilungen führen die Ermittlungen allerdings nur in rund 2.000 Fällen. Dennoch ist von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen, vor allem wenn man bedenkt, daß nur in jedem zehnten Fall körperliche Gewalt angewandt und vermutlich nur etwa ein Viertel der Kinder von unbekannten Tätern mißbraucht wird. Meist sind Familienmitglieder, Verwandte oder Freunde die Täter.
Die geplanten Gesetzesänderungen sind nicht die Reaktion auf eine neue Entwicklung. Eher schärften in der aufgeheizten Atmosphäre nach dem belgischen Dutroux-Skandal die Todesfälle von Natalie Astner und Kim Kerkow den Blick auf den bisherigen Umgang mit Sexualstraftätern.
Im jetzt diskutierten Gesetzespaket werden folgende Schwerpunkte gesetzt:
Strafverschärfung: Für schwere und wiederholte Taten werden die Mindeststrafen auf ein Jahr Haft erhöht. Wird die Tat im Zusammenhang mit der Herstellung pornographischer Schriften begangen, steigt die Mindeststrafe auf zwei Jahre Gefängnis. Die Aussetzung zur Bewährung ist damit ausgeschlossen.
Mehr Therapie im Knast: Für Sexualtäter, die länger als zwei Jahre inhaftiert werden und bei denen einen Therapie notwendig ist, soll diese auch vorgenommen werden. Bis zum Jahr 2003 müssen die Länder die erforderlichen Therapieplätze schaffen.
Strengere Kriterien bei Entlassung auf Bewährung: War der Täter zu einer Strafe von mehr als zwei Jahren verurteilt, kann er nur vorzeitig entlassen werden, wenn ein Sachverständigengutachten dies befürwortet.
Therapiepflicht: Bei Strafaussetzung zur Bewährung kann der Täter künftig zur Therapie verpflichtet werden. Verweigert er diese, kann zeitlebens Führungsaufsicht angeordnet werden (bisher war dies maximal fünf Jahre möglich). Bei der Führungsaufsicht kann der Staat dem Betroffenen bestimmtes Verhalten oder Unterlassen im beruflichen und persönlichen Bereich vorschreiben.
Sicherungsverwahrung: Künftig kann ein Täter schon nach dem ersten Rückfall in Sicherungsverwahrung genommen werden (bisher erst nach dem zweiten Rückfall). Außerdem kann der Täter sofort bis ans Lebensende weggesperrt werden (bisher maximal zehn Jahre bei der ersten Anordnung).
Das Motto „Im Zweifel für die Sicherheit“ zieht sich durch den gesamten Gesetzentwurf. Dafür muß man wohl Verständnis haben. Die Kehrseite dieser Herangehensweise brachte aber der renommierte Gerichtspsychiater Norbert Leygraf im letzten Spiegel auf den Punkt: „Man muß mindestens zehn Menschen unnötig einsperren, um auch einen wirklich gefährlichen festzuhalten.“ Christian Rath
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