: Behinderte Kinder müssen draußen bleiben
■ Kein Anspruch auf Besuch der Regelschule
Freiburg (taz) – Wenn ein körperbehindertes Kind gegen seinen und den Willen seiner Eltern in die Sonderschule geschickt wird, ist dies keine unzulässige Diskriminierung. Dies entschied gestern das Bundesverfassungsgericht. Es verwarf damit die Verfassungsbeschwerde der 13jährigen Ruth S. aus Göttingen. Der Richterspruch ist die erste Grundsatzentscheidung über die Rechte Behinderter, drei Jahre nachdem das Diskriminierungsverbot ins Grundgesetz aufgenommen wurde.
Ruth S. ist seit ihrer Geburt querschnittsgelähmt. Ihre Eltern möchten, daß ihre Tochter so normal wie möglich aufwachsen kann. Vor allem wollen sie verhindern, daß Ruth in spezielle Behinderteneinrichtungen „abgeschoben“ wird. Beim Besuch der Grundschule hat das noch gut geklappt. Die Schwierigkeiten begannen erst mit dem Wechsel auf die Lichtenberg-Gesamtschule in Göttingen. Dort zeigte man sich schnell überfordert mit der neuen Schülerin und veranlaßte eine Einweisung in die Sonderschule.
Hiergegen wehrte sich die Schülerin vor Gericht. Per einstweilige Anordnung entschieden die Verfassungsrichter zwar, daß Ruth zumindest bis zur Entscheidung ihrer Verfassungsbeschwerde in der Regelschule bleiben konnte. Die so geweckten Erwartungen hat das Gericht nun enttäuscht.
Zwar habe der Staat eine besondere Verantworung für die Schulbildung behinderter Kinder. Der gemeinsame Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern stehe jedoch „unter dem Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen“. Schließlich habe der Staat auch noch andere kostspielige Aufgaben.
In der zwangsweisen Abschiebung von Schülern in eine Sonderschule sieht der Senat nur dann einen Verfassungsverstoß, wenn der Besuch der Regelschule bei „vertretbarem Einsatz von sonderpädagogischer Förderung“ möglich wäre. Was aber im Einzelfall „vertretbar“ ist, müsse die Schulverwaltung entscheiden – nach „eingehender“ Prüfung der Wünsche von Eltern und Schülern. Die Verwaltung habe dabei immerhin eine „gesteigerte Begründungspflicht“, die eine detaillierte Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte ermöglichen soll.
Noch steht vor dem Verfassungsgericht eine Entscheidung über eine ähnliche Beschwerde von fünf Heidelberger Grundschülern mit Down-Syndrom an. (Az.: 1 BvR 9/97) Christian Rath
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