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Nervosität zum Erhalt der Gattung

■ Die „Agentur für Zeitgenössische Kunst“zeigt Materialbilder von Dieter Glasmacher

Es gibt so etwas wie eine verwirrende Vielfalt, die bei genauerem Betrachten ihren Tiefgang bloßlegt. In der Geschichte der Kunst des 20. Jahrhunderts erscheinen an dieser Stelle die Dadaisten, Robert Rauschenberg und Anna Oppermann am Himmel der Assoziations-Künstler. Ihre Stilmittel waren die Collage und die Assemblage, die heterogenes Material in neue, überraschende Kontexte banden. Ironie, Selbstironie und schwarzer Humor prägten ihre geistige Haltung.

Die Bildwerke von Dieter Glasmacher ziehen eine eigene Konsequenz aus dieser historischen Linie. Der 1940 in Krefeld geborene Künstler zeigt jetzt in der „Agentur für Zeitgenössische Kunst“von Christoph Grau in einer Auswahl von sieben großformatigen Materialbildern und diversen Gouachen, welche Bedeutung er dem Bild im Zeitalter medialer Bildüberflutung gibt. Seine vielfarbigen Arbeiten stehen zwischen der Tradition des Mehrfeldbildes seit dem Mittelalter und einer gegenwärtigen Renaissance dieses Prinzips durch die herrschenden elektronischen Medien.

Zwischen Spiel, Spontaneität und fundierter Zeitkritik entwickelt sich diese Bildsprache: „Mich interessiert die Gleichzeitigkeit – alles passiert gleichzeitig. Und meine Arbeiten sind der Versuch, diese Gleichzeitigkeit mitzuteilen. Von den Bildern soll eine Haltung ausgehen, die Sehgewohnheiten erweitert, um Phantasien, die verschüttet sind, zu mobilisieren.“Es erscheint folgerichtig, daß bei Glasmacher Sprache in den Bildern eine wesentliche Rolle spielt: Einbruch und Synchronizität des Abstrakten und Alltäglichen zwischen Comic-Sprechblase und Graffiti. Farbe und Fundstück erscheinen hierarchiefrei auf Holz. Zeichen, Zeichnung – Sprache und Chiffren sollen „die vielfältige Realität erhärten“und parallel auf die verschmutzten, viel zu schnell konsumierten TV-Bilder aufmerksam machen.

So wird das anarchische Spiel im Fluß mit assoziativen Formen und Sprach-Zeichen zu einem aufklärerischen Akt, bei dem sich der Betrachter nicht langweilt. „Wir sind alle nervös“, ist auf einem der Bilder zu lesen: ein Hinweis auf das Zappen als Prinzip und ein humorvoller Beitrag zum Erhalt der Gattung Malerei als Malerei. Glasmacher möchte, daß wir uns über Bilder wieder freuen, ganz im Gegensatz zu seiner Erfahrung im Vorstand beim Berufsverband Bildender Künstler Hamburg (BBK): „Ich habe versucht, eine Aufweichung des BBK zu bewirken. Aber es ist mir nicht gelungen, die Veränderungen und Offenheiten gegen die schwerfälligen inneren Querelen durchzusetzen. Deshalb habe ich meine Vorstandsmitgliedschaft gekündigt.“Konsequent wie seine Bildwelt. Gunnar F. Gerlach

Agentur für Zeitgenössische Kunst, Zöllnerstraße 23, bis zum 23. November, Mi-Fr 16-19 Uhr

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