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Finsternis im Waschsalon

... doch durch Fehler wird man klug. Eine einjährige nebenberufliche Fortbildung qualifiziert zur „VideojournalistIn“  ■ Von Ajub Iskandarani

Hektische Betriebsamkeit macht sich breit. Fünf Leute wuseln herum, bauen Scheinwerfer auf, rücken Stühle zurecht, richten Schirmlampen aus. Im Seminarraum im Altonaer Filmhaus sieht es aus wie in einem Fernsehstudio. Jetzt werden die letzten Kabel angeschlossen, an der Kamera nimmt Piruschka einen „Weißabgleich“vor, und die beiden Frauen, die sich als Moderatorin und Interviewgast zur Verfügung gestellt haben, machen es sich auf ihren Stühlen bequem.

Eigentlich könnte es losgehen, doch Jens winkt ab. Die Farben auf dem Kontrollmonitor stimmen nicht mit denen am Set überein. Jörg Bookmeyer, Kameramann, Autor und Seminarleiter in Personalunion, steht ruhig daneben, während seine SchülerInnen noch einmal Scheinwerfer und die Einstellung am Monitor überprüfen. Seine gelassene Zurückhaltung lohnt sich. Nach kurzem Hin und Her ist der Fehler gefunden: Der Farbfilter in der Kamera war falsch eingestellt, die Gesichter entsprechend viel zu rot.

„Ein viel größerer Patzer ist uns heute morgen passiert“, erzählt Piruschka. „Da haben wir jemanden im Waschsalon interviewt und vergessen, die Blende aufzumachen.“Und so war die Reportage über „Sonntagsstimmung in Ottensen“angereichert durch ein Stück Totalfinsternis, aus der sich gespenstisch einige Stimmen hervorhoben.

„Ich finde es schön, daß wir hier die Möglichkeit haben, alles auszuprobieren, denn durch Fehler lernt man dazu“, lobt Piruschka, die als freie Journalistin für ein Wochenmagazin arbeitet. „Printmedien sind auf Dauer nicht so spannend“, findet sie und würde gerne auf Fernsehjournalismus umsteigen. Die einjährige nebenberufliche Fortbildung zur Videojournalistin, die seit Anfang Oktober vom Verein „Medien und Kulturarbeit“in Ottensen angeboten wird, kam ihr da gerade recht.

„Die Praxisnähe ist unsere Stärke“, sagt Karin Dehnbostel, Organisatorin des Fortbildungsprojektes. Durch praktische Übungen sollen den TeilnehmerInnen einerseits technische Grundlagen vermittelt werden, wie die Funktion der Kamera, Lichtführung, Ton, Montage und Schnitt. Andererseits sollen die angehenden VideojournalistInnen auch lernen, für das Fernsehen zu sprechen und zu texten. Für jeden Teilbereich – von Kameraführung bis Schnitt – wurden professionelle AusbilderInnen ausgewählt. Im Februar beispielsweise, wenn es um Interviewpraxis und Fragetechniken geht, wird Sandra Maischberger, Moderatorin von Greenpeace-TV, das Seminar leiten.

Das Fortbildungsprogramm „Videojournalist“wird dieses Jahr zum ersten Mal angeboten. Bisher gab es im Filmhaus nur Workshops zu einzelnen Bereichen, wie Grundkurse zum Drehbuchschreiben, zu Regie, Produktionsleitung, Filmmusik oder Maske. Da die Kursbausteine in sich abgeschlossen sind und nicht aufeinander aufbauen, können InteressentInnen aber auch einzelne Seminare besuchen. Dann bekommen sie zwar nicht das Gesamtzertifikat „Videojournalist“, aber eine Teilnahmebestätigung. Ob man das gesamte Programm mitmacht oder nicht, ist nicht zuletzt eine Geldfrage. Eines der zwei- bis dreitägigen Seminare kostet je nach Länge und technischem Aufwand zwischen 200 und 600 Mark.

Jens hat nur den ersten Kurs belegt, in dem es um Kamera, Licht und Ton geht. Der 23jährige macht eine Ausbildung zum Medienkaufmann und will sich jetzt ein paar „Kamera-Basics“aneignen. Dann, hofft er, wird er vielleicht auch in seiner Firma „bald mal an die Kamera gelassen“.

Während er, Piruschka und die anderen im „Studio“ihre Interviewsituation aufnehmen, ist der andere Teil der Gruppe im Freien unterwegs. Der 17jährige Robert hat eine Kamera geschultert, Matthias einen Notizblock in der Hand, und der 31jährige Sven trägt die Ersatzakkus. Aufgabe: Müll im Stadtteil. Was sagen Anwohner? Es ist Sonntag, und Passanten auf der Straße sind rar.

Schließlich kommt ein älteres Ehepaar um die Ecke. Der 21jährige Matthias pirscht sich ran: „Entschuldigen Sie bitte“, fragt er schüchtern, „dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“Die beiden mustern das junge Team zurückhaltend, doch nach vorsichtiger Rückfrage erklärt sich Frau bereit, die „überlaufenden Mülleimer und die herumliegenden Bierdosen hier im Viertel“zu kommentieren: „Irgendwie gehört der Müll zum Stadtbild. Das macht unser Ottensen ja auch so sympathisch.“Mit diesem Statement der eher bieder gekleideten Frau hatte Matthias nicht gerechnet und bedankt sich recht abrupt.

Für den Schüler ist es das erste Mal, daß er jemanden interviewt. „Gar nicht so einfach, weiterzufragen, wenn die Leute nicht das sagen, was man erwartet“, sagt Matthias und sieht sich tapfer nach einem neuen Opfer um.

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