: Wer lebt, stört
■ Die Volksbühne mit Pirandello außer Haus
Da steht er. In abgewetzten Schnürschuhen unter dem schlecht sitzenden Anzug, mit verschmiertem Mund, feuchten Augen und Zitronen in der Hand. Zitronen? Limonen – „Limonen aus Sizilien“, wie Luigi Pirandellos Einakter heißt, den Stefan Otteni für die Volksbühne im italienischen Generalkonsulat inszeniert hat.
Er, das ist Bruno Cathomas in der Rolle des Micuccio Bonavino, ein Sizilianer, der in die große Stadt gekommen ist, um seine geliebte Teresina zu besuchen. Teresina? Sina Marnis heißt die Dame jetzt, ist Operndiva, und nur weil ihr Micuccio einst das Studium finanzierte, schreibt sie ihm hin und wieder einen Brief. Jetzt aber steht er da, wird erst von den Dienstboten, dann von der Mutter hingehalten, und als Sina nach einer Premiere endlich erscheint, singt sie, statt zu sprechen, und rauscht (bei Otteni – den Text kenne ich nicht) gleich wieder davon.
Ein Rührstück? In der Tat geht es einem ans Herz, wie Cathomas echte Tränen in das grüne Papierhandtuch aus dem Eisenbahnklo schneuzt und von Sinas Mutter (Annekathrin Bürger) mit Käsehäppchen ruhiggestellt wird – ein Tropf, der dann aber, bravo Bruno!, in den Salon vordringt, die Premierenfeier sprengt und mit großer Geste das Haus verläßt.
Der aus Köln und Mülheim/ Ruhr kommende Regisseur Stefan Otteni hat einen für die Volksbühne eher untypischen Ansatz. Nicht das Ganze interessiert ihn, sondern der einzelne – das Individuum und wie es in der Welt stört: Micuccios Hoffnung und Enttäuschung, Verletzung und Triumph. Cathomas spielt das in verletzlicher, aber kraftvoller Naivität, und wenn Karin Mikityla und Matthias Matschke als Dienstboten in Volksbühnenmanier mit der Rolle kokettieren, wirkt das dagegen ziemlich aufgesetzt. Absicht?
Die Inszenierung verzichtet auf eine kommentierende Ebene, allenfalls die Wahl des Spielorts mag als Pirandello-Kommentar gelten: Das teilweise noch kriegszerstörte wuchtige Konsulat stammt aus der Zeit des Faschismus, und Pirandello war ab 1924 Mitglied der italienischen Faschisten. Wobei der Autor, der zehn Jahre später den Nobelpreis erhielt und 1936 im Alter von 69 Jahren starb, keineswegs faschismuskompatible Dramen schrieb, sondern die Schnittstellen von Schein und Sein erkundete.
„Limonen aus Sizilien“ ist diesbezüglich noch ein frühes Werk, doch die Regie findet den pirandellesken Weg auch allein: Wenn Cathomas am Ende entschwindet und Carmen Dalfogo als Sina heulend auf dem Boden zurückläßt, nimmt Otteni der Geschichte quasi die Maske ab. Dalfogo schlüpft aus ihrer Robe und preßt die schwer symbolischen Limonen (Jugend! Heimat!!) in aller Ruhe zu Saft, während Cathomas zurückkehrt, um seine Koffer zu holen, die er in der Eile vergaß. Ordnung muß sein, und was uns einerseits umbringt, ist andererseits irgendwie ein Spiel. Vielleicht ist der tragische Held auch der Obstmann, und die machen das jeden Tag.
Ottenis Inszenierung ist in Rhythmus und Stil recht offen, mit gekonnt gesetzten Pausen, aber auch theatralisch leeren Momenten, in denen jeder sich selbst überlassen bleibt. Dann sind die Schauspieler im echten Foyer eines echten Konsulats einfach Menschen, die Dinge tun, eine Gans kommt sanftmütig schnatternd vorbei, und ganz am Ende macht die Letzte das Licht nicht aus, sondern an. Petra Kohse
Nächste Aufführung am 2.11., 21 Uhr. Italienisches Generalkonsulat, Hiroshimastraße 1. Weitere Informationen und Kartenbestellungen unter Tel.: 247 67 72
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