Die Stadt hat den Lärm, den sie verdient

■ Beim Verkehrslärm wird das Verursacherprinzip grundsätzlich außer Kraft gesetzt. Das liegt an einer falschen Verkehrspolitik. Doch die Opfer für den Fetisch Mobilität sind gesellschaftlich gewollt

Wenn der Nachbar die Stereoanlage bis zum Anschlag aufdreht, sind die Folgen klar: Mit sozialem Druck oder mit Hilfe höherer Instanzen wird der notorische Lärmentwickler in die Schranken gewiesen. Wer durch konstanten Lärm an den Nerven seiner Mitmenschen sägt, bekommt Schwierigkeiten. Es gilt das Verursacherprinzip.

Nicht so beim Verkehrslärm. Geheilt wird nicht die Ursache, sondern an den Symptomen wird herumgedoktort: Ein bißchen Flüsterasphalt hier, etwas leisere Motoren dort, Schallschutzfenster an den Häusern. Die Minderung der Lebensqualität, nur bei geschlossenen Fenstern in der Innenstadt leben und schlafen zu können, wird ebenso in Kauf genommen wie viele andere Nachteile des Verkehrs: Bei Ozonalarm zum Beispiel werden die Omas und die Enkel eingesperrt – und nicht etwa die Autos, die den Dreck verursachen.

Dabei ist inzwischen unbestritten, daß der konstante Lärm in den Städten nicht nur an den Nerven zerrt: Lärm macht krank, Lärm macht dumm, und Lärm tötet auf lange Sicht. Die Spaltung der Gesellschaft schreitet auch hier voran: einerseits die Bessergestellten, die sich einen ruhigen Platz zum Wohnen in der Tempo-30-Zone erkämpfen oder erkaufen können. Andererseits die armen Schlucker, die sich an den Ausfallstraßen und Einflugschneisen der Flughäfen die Ohren zuhalten müssen. Wer es sich leisten kann, zieht gleich ins Umland, wo der einzige Krach das Gezwitscher der Vögel ist – und verursacht durch seine Arbeits- und Einkaufswege gleich noch zusätzlichen Verkehrslärm.

Die Lärmbelastung in der Stadt zeigt natürlich eine falsche Verkehrspolitik: Der Wahn, jederzeit überallhin mit den eigenen vier Rädern zu gelangen, eine unkoordinierte Logistik für die Unternehmen des City-Bereichs und die systematische Austrockung des Schienenverkehrs führen zu stetig wachsenden Verkehrsmassen auf den Straßen und damit zu stetig wachsender Lärmbelästigung. Die Ansicht, eine Stadt müsse „brummen“, um urbane Qualität zu beweisen, ist ebenso ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert wie die Meinung, nur „rauchende Schornsteine“ sicherten unseren Wohlstand. Im Gegenteil geht gerade die Lebensqualität der Städte im Verkehrsrauschen flöten. Für eine belebte Innenstadt, in der Menschen leben und arbeiten, sich wohlfühlen und konsumieren, bedarf es einer erhöhten Toleranz gegenüber „menschlichem“ Lärm: Kneipen, Musik, Demonstrationen. Ein Schwerlaster, der über das Pflaster rumpelt, ist dagegen weder urban noch romantisch.

Das Schimpfen auf die Verkehrsplaner ist indes nur eine Seite der Medaille: Denn die Konzepte gegen den Verkehrsinfarkt sind bekannt. Doch das Problem mit Verkehr und Verkehrslärm ist eben, daß fast alle Teile der Bevölkerung an ihm mitproduzieren. Wer nachts nicht schlafen kann, fährt anderntags trotzdem mit dem Auto ins Büro.

Auch wer im Muff hinter schallisolierten Fenstern lebt, profitiert von niedrigen Preisen im Supermarkt, die durch die Brummi- Flotte entstehen. Und schließlich gilt Mobilität in der Gesellschaft als Tugend an sich. Die Opfer des Verkehrs sind in diese gesamtgesellschaftliche Kalkulation einbezogen.

Die Stadt braucht also nicht den Lärm für ihre Urbanität. Aber die Stadt hat genau den Verkehr und den Verkehrslärm, den sie verdient. Bernhard Pötter