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Die Käufer sind dankbar, der Einzelhandel nicht

■ Ein Mehr an Umsatz blieb aus, ebenso die Belebung des Arbeitsmarktes. Den Verbrauchern fehlt nicht die Zeit, sondern das Geld zum Einkauf. Nur die Branchenriesen profitieren

Er wird fröhlich genutzt und dennoch als Flop geschmäht – der späte Ladenschluß. Während die Verbraucher am liebsten auch noch nachts ihren Supermarkt frequentieren würden, ist das Lamento in der Branche groß. Als vor einem Jahr das Ladenschlußgesetz reformiert wurde, galt das als Durchbruch für den Dienstleistungsstandort und als Chance für den Arbeitsmarkt. 55.000 neue Jobs prophezeite das ifo-Institut in einem Gutachten. Wirtschaftsminister Günter Rexrodt hoffte sogar auf ein Umsatzplus von 20 Milliarden Mark jährlich.

Inwzischen hat sich aber gezeigt: Die Formel „mehr Zeit zum Einkaufen gleich mehr Umsatz gleich mehr Arbeitsplätze“ geht nicht auf. Nun sehen sich die Mahner von damals bestätigt. Die Studien der Gewerkschaft HBV und des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE), eigens zum Jahresjubiläum angefertigt, jammern unisono über die Deregulierung der Einkaufszeiten.

Dem HDE zufolge hat gut ein Fünftel aller Einzelhändler einen Rückzieher gemacht, nachdem sie zunächst ihre Öffnungszeiten ausgedehnt hatten. Enttäuscht sind vor allem der Fachhandel und der Lebensmittelladen um die Ecke – sie kehrten schon bald zu den alten Öffnungszeiten zurück.

Die Branchenriesen, die Läden in Toplage und die Einkaufscenter auf der grünen Wiese dagegen halten ihren Kunden überwiegend die Schranken auch nach 18.30 Uhr offen. „Es ist zu Umsatzverlagerungen innerhalb der Branche gekommen“, berichtet die Gewerkschaftsstudie.

Insgesamt, setzt auch das Einzelhandelsgutachten nach, hätten die längeren Öffnungszeiten den Unternehmern nicht den erhofften Mehrumsatz gebracht. Der HDE stellte bereits Ende Oktober zwei Prozent reale Wachstumseinbußen gegenüber dem Vorjahr fest. Der Hauptverband konstatiert eine Krise im Einzelhandel: immer mehr Verkaufsfläche und längere Öffnungszeiten gegen sinkende Nachfrage und Kaufkraft. „Den Bürgern in Deutschland fehlt in erster Linie nicht die Zeit, sondern das Geld zum Einkaufen“, sagt auch die HBV.

Kein positiver Effekt auf die Beschäftigungslage: Nur ein Bruchteil der Geschäfte (sechs Prozent nach HDE) hat mehr Personal eingestellt, heißt es bei der HBV. Die große Mehrheit der Geschäfte habe trotz längerer Öffnungszeiten die Belegschaften sogar noch weiter reduziert.

„Der Trend, Vollzeitarbeitsplätze durch ungeschützte 610-Mark-Billigjobs zu ersetzen, ist durch das neue Ladenschlußgesetz verstärkt worden“, klagt die HBV. Immerhin gebe es über 600.000 dieser Billigjobs im deutschen Einzelhandel. Die Arbeitgeber räumen ein, daß 49 Prozent der neu geschaffenen Stellen 610-Mark-Jobs sind. Der Rest seien Teil- und Vollzeitstellen. Absolute Zahlen gibt es nicht. Nicht erfaßbar, weil zu gering, so der HDE.

Da sich längere Öffnungszeiten nicht lohnen, sollten die alten wieder eingeführt werden. Das fordert nun die Gewerkschaft. Und wer die längeren Öffnungszeiten beibehält, der soll auch mehr Personal einstellen.

Die Verbraucherverbände hören das nicht gern. Aus deren Sicht hat sich der späte Ladenschluß als voller Erfolg erwiesen. „Die erweiterten Öffnungszeiten werden häufiger genutzt, als dies zu erwarten war“, argumentiert die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AgV). Drei Viertel der Kunden nutzen den späten Ladenschluß, ergab eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie. Mehr als die Hälfte plädiert sogar für eine generelle Freigabe der Öffnungszeiten. Daß der späte Ladenschluß genutzt wird, räumt auch die HBV-Studie ein: Es ließen sich „zeitliche Umsatzverlagerungen“ feststellen.

Die Verbraucherverbände warnen den Einzelhandel, den Erfolg der längeren Ladenöffnung allein an den Umsatzzahlen zu messen. „Insbesondere berufstätige Kunden reagieren dankbar auf flexible Öffnungszeiten, die ihnen streßfreien Einkauf ohne Zeitdruck ermöglichen“, sagt Helga Kuhn von der AgV. Dies sei für die „Kundenbindung“ enorm wichtig. Außerdem könnten sich jahrzehntelange Einkaufsgewohnheiten nicht kurzfristig ändern.

„Es gibt kein Zurück mehr“, verspricht der HDE-Pressesprecher Thomas Werz. Der Arbeitgebersprecher rechnet damit, daß „irgendwann ein Drittel der Läden länger öffnen und ein Drittel der Kunden zu später Stunde einkaufen wird.“ Uta Andresen

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