: "Rated X by an all-white jury"
■ Gespräch mit dem afroamerikanischen Filmpionier Melvin Van Peebles über seinen Film "Sweet Sweetback" und schwarzes Kino
taz: Vor „Sweet Sweetback“ hatte es fast keine Filme von schwarzen Regisseuren in den USA gegeben, und keiner von den wenigen Filmen, die es gab, war ästhetisch so radikal wie „Sweet Sweetback“. Selbst ihr eigener „Watermelon Man“ von 1970 war wesentlich zahmer.
Melvin Van Peebles: Der Film kam nicht aus dem Nichts. Die meisten Cineasten erzählen einem, daß sie anfangen, sich für Kino zu interessieren, weil sie die Filme von Eisenstein gesehen hatten, oder Kurosawa oder Fellini. Diese Leute kannte ich überhaupt nicht. Als ich jung war, habe ich im Kino ganz andere Sachen gesehen, und weil ich die Nase davon voll hatte, habe ich „Sweetback“ gemacht. Wenn man heute darüber spricht, wie wichtig „Sweet Sweetback“ war, wird oft eine Sache vergessen: Damals wollten zuerst nur zwei Kinos den Film zeigen, eins war in Detroit und eins in Atlanta. Erst als der Film schon am Eröffnungswochenende groß Kasse machte, wollten ihn plötzlich andere Kinos ins Programm nehmen.
Wer hat den Film denn vertrieben, nachdem Sie ihn unabhängig produziert hatten?
Kein normaler Verleih wollte den Film haben. Darum hat eine kleine Firma den Vertrieb gemacht, die gerade dabei war, bankrott zu gehen. Die hatten nichts zu verlieren, darum haben sie den Film genommen. Das hat sie gerettet. Ich bestand darauf, daß „Sweet Sweetback“ ohne Begleitprogramm gezeigt würde. Das war damals nicht üblich. Schwarze Filme wurden immer als Double Feature gezeigt, weil die Hollywood-Studios dachten, daß sich schwarze Amerikaner einen Film allein nicht ansehen würden. Ich wollte auch nicht, daß der Film ein Rating von der Motion Picture Association of America (MPAA) bekommt.
...weil er wahrscheinlich sowieso ein X (das heißt: nicht jugendfrei) als Rating bekommen hätte...
Wenn man ihn ein bißchen verändert hätte, hätte er schon ein anderes Rating bekommen. Worum es mir ging, war die Tatsache, daß die Jury, die über die Altersfreigabe entschied, nur aus Weißen bestand. Ich habe denen gesagt, daß ich meinen Film wie eine Auslandsproduktion behandelt haben wollte. Ausländische Filme bekamen kein Rating. Jack Valente, der Boß der MPAA, hat mir das verweigert: „Wenn Sie den Film nicht von uns beurteilen lassen, kriegt er automatisch ein X.“ Obwohl sonst Pornofilme diese Altersfreigabe bekamen, habe ich das hingenommen. Und dann habe ich T-Shirts gedruckt, auf denen stand: „Sweet Sweetback – Rated X by an all- white jury.“ Mit den T-Shirts habe ich viel Geld verdient.
Sie haben damals gesagt, weiße Amerikaner sollten sich den Film so ansehen, als ob er aus einer anderen Kultur käme, aus Korea oder aus Deutschland. Aber die Kultur, die Sie in „Sweetback“ zeigen, wirkt heute gewalttätig und sexistisch. Der Protagonist ist im besten Fall ein Antiheld.
Der Film galt schon damals als sexistisch und gewalttätig, aber komischerweise nur bei Weißen. Im schwarzen Ghetto sieht und hört man eben dauernd solche Dinge, wie sie in „Sweetback“ vorkommen. Was den Sexismus betrifft: Ich habe den Mythos vom schwarzen Mann als sexuelles Untier genommen und vom Kopf auf die Füße gestellt. Natürlich lebt der Protagonist davon, als Zuhälter schwarze Frauen auszubeuten. Das zu kritisieren, ist, als würde man einen Western tierfeindlich nennen, weil in ihm Pferde geritten werden.
Wollen Sie jetzt Pferde und Frauen vergleichen?
Allerdings. Das war Sweetbacks Metier als Hustler. Natürlich ist er sexistisch. Was er nicht versteht, ist, daß er dadurch als Werkzeug des Kapitalismus funktioniert. Erst als er vor der Polizei fliehen muß, erkennt er, wie das System wirklich funktioniert und daß er ein Teil davon ist. Wenn man einen politischen Film macht, nimmt man normalerweise einen Helden, der politisch korrekt ist. So kann man sich mit ihm aber gar nicht identifizieren. Sweetbacks erste politische Tat ist, daß er einen Polizisten umbringt – aus Versehen, nicht weil er den dialektischen Materialismus studiert hat. Er ist nur ein Streetkid und flippt einfach aus. Erst im Lauf des Films erlangt er allmählich politisches Bewußtsein. Und das Publikum nimmt an dieser Politisierung teil.
Diese grobe, fast comic-hafte Gewalt, die in „Sweetback“ vorkommt, prägt auch spätere Blaxploitation-Filme. Auch bei den Klassikern der afroamerikanischen Literatur wie „Native Son“ von Richard Wright oder „Invisible Man“ von Ralph Ellison ist mir diese groteske, überzeichnete Gewalt aufgefallen...
Darüber kann ich nichts sagen, ich spreche nur über mich selbst. Und was mich betrifft. Als ich neun war, hatte ich schon ein Dutzend Morde gesehen, nur weil ich manchmals aus dem Fenster geguckt habe. Die Repression, der die Schwarzen in den USA ausgesetzt sind, muß sich in irgendeiner Weise Luft machen. Das hat nichts mit der Rasse zu tun. Wenn eine Gruppe von Menschen sich nicht gegen ihre Unterdrücker wehren kann, dann fangen sie an, sich untereinander zu bekämpfen.
Sehen sie sich als Vater des Blaxploitation-Films?
Das bin ich ganz bestimmt. Der kommerzielle Erfolg von „Sweet Sweetback“ hat jede Menge Imitationen ausgelöst. Das Geschäft von Amerika ist nun mal das Geschäft. „Sweet Sweetback“ war der erfolgreichste Independent-Film, der bis dahin in den USA produziert worden war. Daraufhin hat Hollywood jede Menge harmlosere Versionen produziert, um daran mitzuverdienen. Der Protagonist von „Shaft“ sollte zum Beispiel laut Drehbuch weiß sein. Als sie sahen, wie erfolgreich „Sweetback“ war, haben sie das Skript ein bißchen verändert und einen Schwarzen aus ihm gemacht.
In den siebziger Jahren haben Sie Musicals produziert. War das eine Alternative zum Filmemachen, weil man nicht mehr mit den großen Filmverleihen und -studios konkurrieren mußte?
Das war ein Grund. Ich dachte mir aber auch, daß Minderheiten kaum eine Chance hatten, ihr Handwerk zu lernen. Ich habe mich gefragt: Wo lernt man wirklich Schauspielen? Im Theater natürlich. Also habe ich angefangen, Theaterstücke am Broadway zu produzieren. Das waren keine Musicals, obwohl in ihnen viel Musik vorkam. Aber die Songs in traditionellen Musicals erlauben es nicht, Geschichten zu erzählen. Darum habe ich angefangen, den melodischen Teil der Musik zu vermindern und verstärkt mit Sprechstimmen zu arbeiten. Das war eine frühe Form des Rap.
Schon in der Musik von „Sweetback“ kommt so eine Art Rap vor...
Ja, der Soundtrack ist letzten Monat wiederveröffentlicht worden. Das war das erste Album von Earth, Wind & Fire. Weil ich kein Geld hatte, um Reklame für den Film zu machen, habe ich die Musik von „Sweetback“ als Marketingmittel benutzt. Ich habe ein Stück geschrieben, das „Sweet Sweetback“ hieß, und jedesmal, wenn es im Radio gespielt wurde, warb das gleichzeitig für den Film. Danach haben sie dasselbe auch bei „Shaft“ und den anderen Blaxploitation-Filmen gemacht.
Von Blaxploitation-Movies wie „Shaft“ oder „Superfly“ hat es mehrere Fortsetzungen gegeben. Warum gab es nie einen zweiten „Sweetback“?
„Sweetback“ war ursprünglich als Trilogie gedacht; ich hatte die anderen beiden Teile auch schon geschrieben. Ich hab' aber nie wieder ein Filmangebot bekommen. Nach „Sweetback“ war ich eine Bedrohung für Hollywood – nicht bloß, weil ich schwarz war. Alle dachten, daß der Film ein Reinfall werden würde, aber das war nicht so. Diesen Fehler wollte dann natürlich niemand wiederholen.
Ich dachte, das Geschäft von Amerika sei das Geschäft. Da hätte es den Studios doch egal sein können, was sie bei Ihren Filmen machen, solange sie damit Geld verdienen konnten...
Aber ich hatte bei „Sweetback“ Regie geführt, das Drehbuch geschrieben, die Musik komponiert, die Hauptrolle gespielt und produziert. Wenn das ging, wofür waren dann diese ganzen Anzugträger bei den großen Studios da? Das ist wie beim Wankelmotor. Der ist zwar technisch auch besser als der Ottomotor, aber trotzdem ist er nie gebaut worden, weil er die ganze Infrastruktur der Autoindustrie kaputtgemacht hätte. Interview: Tilman Baumgärtel
arte zeigt morgen abend ab 21.45 Uhr einen Melvin-Van-Peebles- Themenabend. Neben „Sweet Sweetback“ werden zwei Dokumentationen zu Van-Peebles- Filmen gezeigt.
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