: Selbstkritisches von Jiang Zemin
■ Chinas Präsident weckt während seines Besuches in den USA Hoffnungen auf eine Neubewertung des Tiananmen-Massakers
Cambridge/Peking (AFP/AP) – Acht Jahre nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in China hat Staatschef Jiang Zemin Hoffnungen auf eine Neubewertung des Tiananmen- Massakers geweckt. Am vorletzten Tag seines USA-Besuchs deutete er am Samstag bei einer Diskussion mit Studenten der Eliteuniversität Harvard an, seine Regierung könnte sich für ihr Vorgehen entschuldigen. „Es ist selbstverständlich, daß wir natürlich auch Mängel haben und sogar einige Fehler machen mögen, doch arbeiten wir weiterhin daran, unsere Arbeit zu verbessern.“
Jiang antwortete mit seiner Bemerkung zum Tiananmen-Massaker auf die Frage eines Zuhörers, warum die chinesische Führung im Juni 1989 nicht friedlich auf die Studentenproteste reagiert habe. Westliche Diplomaten in Peking nannten die Wortwahl Jiangs ungewöhnlich. Das Wort „Fehler“ wird von den chinesischen Behörden normalerweise nur für längst vergangene Ereignisse benutzt.
Nach Ansicht von Beobachtern ist Jiangs Aussage möglicherweise ein Zeichen für seine politische Macht und seinen relativ großen Spielraum innerhalb der Kommunistischen Partei. Denkbar ist jedoch auch, daß sich der chinesische Staatschef um ein positiveres Image in der USA bemüht. Die Reise Jiangs wurde von Demonstrationen gegen die chinesische Menschenrechtspolitik begleitet.
Die staatlichen Medien in China verschwiegen am Sonntag die Äußerungen Jiangs. Das Fernsehen brachte Bilder vom Auftritt des Präsidenten, erwähnte die konkreten Fragen und Antworten jedoch nicht. Bislang hat die Staatsführung den Einsatz auf dem Tiananmen-Platz immer als Maßnahme zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und der nationalen Stabilität verteidigt.
Der von China als abtrünnige Provinz betrachtete Taiwan begrüßte die Bemerkung des chinesischen Staatschefs als möglichen Schritt in die richtige Richtung, warnte jedoch vor voreiligen Schlüssen. „Es ist nicht ganz klar, was Jiang wirklich sagte“, urteilte der Vorsitzende des Rates für Angelegenheiten des Festlands, Chang King-yuh. Der chinesische Dissident Lin Xinshu bezweifelte auf telefonische Anfrage, daß die Führung in Peking die Opfer des Massakers rehabilitieren werde. Jiang habe 1989 nicht an verantwortlicher Stelle gesessen, sondern Politiker wie Ministerpräsident Li Peng, die noch immer an der Spitze der Volksrepublik stünden.
Nach Ansicht von Menschenrechtlern in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong denkt China nicht wirklich an eine Neubewertung des Massakers. Jiang habe lediglich „so gut es ging“ auf eine Frage geantwortet, sagte ein Sprecher des Informationszentrums für Menschenrechte und Demokratiebewegung in China gestern.
Auf die Frage nach der Tibetpolitik Chinas sagte Jiang in Harvard, die Exilregierung unter dem Dalai Lama müsse öffentlich anerkennen, daß Tibet ein untrennbarer Teil Chinas sei und das Ziel der Unabhängigkeit sowie „alle auf die Abspaltung vom Mutterland gerichteten Aktivitäten“ einstellen. Die Ernennung des Diplomaten Greg Craig zum US-Sonderbeauftragten für Tibet wurde in Peking als Einmischung in innere Angelegenheiten Chinas verurteilt.
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