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Jureks schöne Postkarten-Welt

■ Manfred Krug edierte die gesammelten Kurzmitteilungen seines besten Freundes Jurek Becker aus vier Jahrzehnten

Nebenstehender Text findet sich auf einer Postkarte, die der in diesem Jahr allzu früh verstorbene Schriftsteller Jureck Becker seinem besten Freund, dem Schauspieler Manfred Krug, und dessen Frau Ottilie schrieb. Die beiden standen seit den fünfziger Jahren in regem Postkartenverkehr. Ottilies Sammelwut ist es zu danken, daß diese Gewohnheit nicht abriß, als die beiden Freunde mehr oder weniger unfreiwillig das Staatsterritorium wechselten, vielmehr sogar in den 80er Jahren ihren produktiven Höhepunkt erreichte.

Manfred Krug hat all denen, die ihm bis in die Niederungen der Telekom-Werbung treu anhingen, mit diesem Band ein wirklich schönes Geschenk gemacht. Die Postkarten Beckers sind, was Text wie motivische Auswahl belangt, wunderbare kleine Kunstwerke, die Sehnsucht nach den Freunden lächelnd auf die eigene Schippe nehmend, manchmal brachial, meist zart und immer von dem spezifischen Postkartenwitz geprägt, an dem wir uns alle unter der Sonne des Südens so oft und vergeblich abgequält haben. Die Texte oder soll man Miniaturen sagen, stehen in der Brief- und Postkartentradition des großen Kurt Tucholsky, sie teilen dessen melancholischen Grundton, dessen Selbstironie. The source of humour isn't joy but sorrow.

Natürlich geht es auch um Zeitgeschichte, allerdings um bruchstückhafte. Zur Zeit des Mauerbaus hausen die Freunde in einer gemeinsamen Wohnung, brauchen also keine schriftliche Kommunikation, der 21. August 1968, das andere, grundstürzende Datum der DDR-Intellektuellengeschichte findet ebenfalls keine, sei es auch indirekte Erwähnung. Dennoch bekommt der Leser etwas mit von der linken, aufmüpfigen Stimmung jener Jahre, den noch ganz unverstellten Hoffnungen aufs Vorankommen der eigenen wie der gemeinsamen „guten Sache. Beckers Postkarten aus den 80er Jahren, oft von seiner Frau Christine phantasievoll angereichert, unterrichten den daheimgebiebenen Freund von Lese- und Vortragsreisen, die den Dichter von Austin/Texas bis nach China führten.

Will man aus diesen Exkursionen unbedingt etwas Allgemeines destillieren, so jene Mixtur aus unverstellter Offenheit gegenüber den neuen Erfahrungen der westlichen (wie der fernöstlichen) Welt bei gleichzeitigem zähen „Festhalten“ am verlorenen Mikrokosmos der DDR. Uwe Johnsons Gesine Cresphal, die Mecklenburgerin am New Yorker Riverside Drive, hätte ihre Freunde daran gebabt.

Gern hätte man auch etwas von dem gelesen, was die Krugs ihrerseits den Beckers mitzuteilen hatten, aber Manfred Krug hat sich in dem Band zur allgemeinen Überraschung dezent zurückgehalten. Zum Text der abgedruckten Postkarte vermerkt er: „Und warum stand er (Frank Bayer) draußen?“Es ging um das Drehbuch zu „Wenn alle Deutschen schlafen“ aus Jureks Erzählung „Die Mauer“. „Frank Bayer ... hat seine Arbeiten gründlicher vorbereitet als jeder andere. Er galt als Autorenschrecck, denn wo er auftauchte, roch es nach Arbeit und Mühe.“ C. S.

„Jurek Beckers Neuigkeiten an Manfred Krug & Otti“. Düsseldorf und München 1997, 39.80 DM

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