piwik no script img

■ Kartellamt: Die Globalisierung erreicht den Berliner AsphaltBauarbeiterblues Europa

Der Berliner Senat kann Berlins Bauarbeiter vor der Globalisierung nicht schützen. Das Bundeskartellamt hat entschieden: Berlin darf seine Straßenbauaufträge nicht daran binden, daß die Unternehmen auch die hohen deutschen Tarife zahlen. Künftig wird es den Gewerkschaften und auch den Unternehmen in den reicheren Teilen Europas immer weniger gelingen, ihre Wohlfahrtsinseln aufrechtzuerhalten. Dem mag man unter dem Gerechtigkeitsaspekt etwas abgewinnen können – warum soll ein Berliner Bauarbeiter mehr verdienen als einer, der in Porto geboren wurde?

Aber erstens mißt sich Gerechtigkeit nicht allein an der Lohnhöhe, und zweitens geht es natürlich auch um das individuelle Gefühl von Zukunft, drittens um die Frage, was Berliner Bauarbeiter künftig mit der Vision Europa verbinden.

Stichwort Gerechtigkeit: Das Leben in Berlin ist nun einmal teurer als das in Porto. Die Angleichung der Bezahlung nach unten sorgt nicht nur für reale Einkommensverluste, für leere Läden und Geschäfte, sondern auch für das Gefühl der Armut. Es droht eine Verelendung vieler Arbeitnehmerhaushalte.

Stichwort Lebensentwürfe: Jeder Mensch hat das Recht auf die Hoffnung für eine bessere Zukunft. Dem Arbeitnehmer in Porto bietet Europa diese Hoffnung, denn seine Bezahlung, seine Möglichkeiten zur Entfaltung steigen. Den Bauarbeiter in Berlin stempelt dieses Europa zum Verlierer.

Hier liegt die politische Brisanz der Kartellamtsentscheidung, und hier liegt eine fast unlösbare politische Herausforderung. Denn nur wenn es gelingt, auch dem Bauarbeiter in Berlin zu vermitteln, daß sein Leben mit Europa mehr Chancen bietet als ohne, wird es ein gemeinsames demokratisches Europa geben, werden die Europäisierung und die weitergehende Globalisierung ohne einen politischen Rechtsruck gelingen. Schon heute punkten die Rechtsextremen gerade unter den sogenannten Modernisierungsverlierern.

Manchmal scheint es, als würde im Ausland diese Gefahr deutlicher gesehen als bei den politisch Verantwortlichen in Deutschland. Es war der Generalsekretär der Unctad, der Brasilianer Rubens Ricupero, der vor wenigen Wochen vor dem Geist der dreißiger Jahre in Europa warnte. Eine sozial nicht abgefederte Öffnung aller Märkte werde eher in Europa zur politischen Katastrophe führen als in den Ländern des Südens, meinte der Südamerikaner. Wenn er nur nicht recht behält. Hermann-Josef Tenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen