: Lafontaine hat nichts gewußt
■ Die SPD rätselt über den Bundesratsvorstoß Gerhard Schröders, der der Regierung bei der Rente entgegenkommen und einer isolierten Erhöhung der Mehrwertsteuer zustimmen will
Für SPD-Parteichef Oskar Lafontaine brechen mit dem Amtsantritt des potentiellen SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder als Bundesratspräsident offenbar harte Zeiten an. Einen Vorgeschmack konnte er bereits vor Schröders heutiger Antrittsrede im Bundesrat erleben. Aus dem Umfeld des niedersächsischen Ministerpräsidenten verlautete, Schröder wolle der Regierung bei der Rentenpolitik entgegenkommen und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorschlagen.
Bisher hatte die SPD darauf beharrt, zur Senkung der Beiträge für Renten- und Arbeitslosenversicherung sowohl die Mehrwert- als auch die Mineralölsteuer anzuheben. Die Koalition hat dagegen im Bundestag beschlossen, die Mehrwertsteuer isoliert um einen Prozentpunkt zu erhöhen, um damit einen Anstieg des Rentenbeitrags zu verhindern.
Während Opposition, Wirtschaft und Gewerkschaften vereint gegen die Erhöhung der Rentenbeiträge auf 21 Prozent und damit gegen die Regierung Front machen, schert Gerhard Schröder nun also mit seinem Vorschlag aus. Die Vorwürfe der Koalition, die SPD betreibe Blockadepolitik, erscheinen dadurch in einem anderen Licht. Kann sich die SPD also doch noch bewegen, wenn sie nur will?
Aber was will sie denn? Die Aussagen sind widersprüchlich. Am Mittwoch hatte Schröders Sprecher Uwe-Karsten Heye gesagt, Schröder werde am Freitag vorschlagen, die Mehrwertsteuer um einen Punkt zu erhöhen, um den Beitragssatz zur Rentenversicherung bei zwanzig Prozent zu stabilisieren. Aus der Umgebung Schröders sei zu hören gewesen, schrieb die FAZ, daß dieser Vorstoß mit dem SPD-Präsidium abgestimmt sei und die Zustimmung des Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine gefunden habe.
Richtig ist: Gerhard Schröder hat sich für eine isolierte Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgesprochen. Schröder habe eingesehen, heißt es, daß die SPD nach dem Scheitern der Steuerreform in der öffentlichen Meinung nicht gut abgeschnitten habe. Daraus wolle er Konsequenzen ziehen. Es sei den Bürgern nur schwer verständlich zu machen, daß die SPD ja einerseits für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sei, wenn auch nur im Verbund mit der Erhöhung der Mineralölsteuer, andererseits eine isolierte Mehrwertsteuererhöhung ablehne.
Falsch ist, daß das Vorgehen mit Lafontaine abgestimmt ist. Von einer Zustimmung Lafontaines könne gar keine Rede sein, heißt es in der SPD-Zentrale. Die Frage könne ohnehin erst kommenden Montag erörtert werden, wenn Fraktionschef Scharping und der Rentenexperte Dreßler wieder in Deutschland sind.
Die Bundestagsfraktion lehnt jedenfalls die isolierte Mehrwertsteuererhöhung ab. „Wir halten an unserem Vorschlag fest, den wir im Vermittlungsausschuß gemacht haben“, sagt Scharpings Sprecher Sten Martenson. Es gebe keinen Grund, davon abzuweichen.
Die Parteizentrale der Sozialdemokraten signalisiert dagegen Kompromißbereitschaft. Es herrsche die Stimmung vor, daß irgend etwas passieren müsse. Dabei sollten die alten Vorschläge der SPD zwar nicht ganz vom Tisch, aber der Rentenbeitrag dürfe auch nicht auf 21 Prozent steigen.
In Fraktion und Partei wird unterdessen darüber gerätselt, wie es zu den falschen Äußerungen über die Mehrwertsteuererhöhung kommen konnte. Es wird nicht ausgeschlossen, daß die Informationen gezielt gestreut wurden, um Schröder gebührende Aufmerksamkeit für seine Bundesratsrede zu verschaffen. Schröder wolle sich als Macher darstellen, der das allgemeine Interesse vor die Parteitaktik stellt. „Schröder will sich profilieren und nutzt dazu auch die Rolle des Bundesratspräsidenten“, sagt ein Genosse. Es sei ein Irrtum zu glauben, der Niedersachse sei in der jüngsten Zeit solidarischer gegenüber der SPD-Führung geworden. Er habe die Lebensplanung, Bundeskanzler zu werden, und das ziehe er durch. Markus Franz
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