piwik no script img

Endstation in der „Spiegel“-Redaktion

■ Ohne Waffen, Pitbulls und Schultheiss statteten vier Neuköllner dem „Spiegel“ einen Besuch ab

Da stehen sie nun: Vier Männer und Frauen aus Neukölln, dem Bezirk, den der Spiegel vor drei Wochen zur „Endstation“ erklärt und damit für viel Wirbel gesorgt hat. Doch die vier passen so gar nicht in das von Autor Peter Wensierski gezeichnete Bild. Weit und breit ist kein Butterflymesser, kein Pitbull, keine Schultheissflasche zu sehen. Die beiden Frauen – Ida Schillen, Grünen-Abgeordnete und wohnhaft in Neukölln, und die ehemalige Neuköllner BVV-Abgeordnete Eva Willig – haben so gar nichts gemein mit den im Spiegel beschriebenen „blaugeschlagenen Frauen“, die „ihre bereits am Vormittag alkoholisierten Männer begleiten“. Die beiden Männer an ihrer Seite, der eine ein „Neuköllner Urgestein“, der andere ein vor 25 Jahren zugezogener Flensburger, haben nicht einmal eine Bierfahne.

Die vier sind gestern ausgezogen, um in der Spiegel-Redaktion 130 Unterschriften und 27 Briefe zu übergeben, die Eva Willig gesammelt hat. „Neukölln wehrt sich“, steht auf einer Mappe, die zu groß ist, um im Papierkorb entsorgt zu werden.

Autor Peter Wensierski tut nicht das, was die Neuköllner in seinem Artikel tagtäglich tun. Er geht nicht in Deckung. Er stellt sich der Kritik. Auch Büroleiter Michael Sontheimer stellt sich – hinter seinen Mitarbeiter. „Ich bedanke mich“, sagt er artig, als er die Mappe entgegennimmt. „Das ist nicht ironisch gemeint“, fügt er hinzu. Als ehemaliger taz-Chefredakteur sei er es gewohnt, „daß Leserschaft erscheint“.

Zumindest einen Neuköllner Leser hat der Spiegel verloren. Ein Unternehmer geht mit dem Magazin hart ins Gericht: Der Artikel komme einem „Rufmord“, einer „Volksverhetzung“ gleich, schreibt er. Als Ida Schillen den Artikel mit der „Das Boot ist voll“- Spiegel-Geschichte vor sechs Jahren vergleicht, wird Sontheimer ungehalten. „Das muß ich ganz klar zurückweisen“, entgegnet er. „Das ist schon starker Tobak“, ergänzt Wensierski, der seinen Artikel verteidigt: „Wir haben nur die Probleme, die es gibt, widergespiegelt.“ Das sei keine Diskriminierung.

„Wir sind aber keine Endstation“, erwidert Eva Willig. „Was schlagen Sie uns denn vor?“ fragt Sontheimer. „Einen Lokaltermin“, antwortet das „Neuköllner Urgestein“. Er versucht, die Spiegel-Crew mit einem Gang durch Szenekneipen im Bezirk zu ködern. „Die Presse sucht sich Mißstände und beschreibt nicht die Normalität“, stellt Sontheimer klar. Auch Wensierski zeigt sich unempfänglich für das Beharren der Neuköllner, daß es durchaus „liebenswerte Stellen“ gäbe. „Die gibt es auch in der Bronx“, sagt er. Barbara Bollwahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen