: Bilder für die Sixtinische Kapelle
Unscheinbar, aber mit Stil: In Berlin eröffnen Deutsche Bank und das Guggenheim-Museum New York einen gemeinsamen Ausstellungsraum mit Arbeiten des französischen Malers Robert Delaunay ■ Von Harald Fricke
Man muß sich das Zustandekommen großer Ausstellungsprojekte wie eine Hochzeit auf dem Lande vorstellen: ohne Mitgift keine Ehe. Das gilt für Bauern und auch für die Kunst. Die Deutsche Bank AG besitzt ein Bild von Robert Delaunay („Die Stadt Paris, die Frau und der Turm“ von 1925) und ein repräsentatives Haus Unter den Linden in Berlin. Die New Yorker Solomon-R.-Guggenheim-Stiftung verfügt bei einer Sammlung von annähernd 8.000 Kunstwerken über immerhin acht Gemälde des Franzosen, außerdem beschäftigt man die renommiertesten KuratorInnen Amerikas und hat gute Verbindungen in alle Welt. Neben den New Yorker Stammhäusern am Broadway und an der Park Avenue hat das Guggenheim-Museum eine Dependance in Venedig und seit kurzem auch ein phantastisches Museum in Bilbao, das Frank O. Gehry wie übereinanderstürzende silberne Surfwellen gestaltet hat.
Insofern ist die Kooperation in Berlin ein folgerichtiger Entschluß der Amerikaner zur weiteren Expansion auf dem europäischen Museumsmarkt. Oder wie Thomas Krens, Direktor des Guggenheim- Hauptsitzes, bei der Eröffnung ein wenig schwärmerisch erklärte: „Das Guggenheim hatte immer ein europäisches Gesicht. Der erste Direktor war ein Deutscher, sein Nachfolger Tscheche. Es ist, als würden wir mit der Neugründung nach Hause kommen.“
Jetzt hat die Familie also Nachwuchs gekriegt, das Kind heißt „Deutsche Guggenheim Berlin“. Nach Robert Delaunays kubistischer Malerei will man den Alt- Pop-Artisten James Rosenquist zeigen, der an bis zu 28 Meter langen und vier Meter hohen Bildern speziell für diesen Raum arbeitet. Krens ist von den gewaltigen Dimensionen begeistert, weil sie ihn an die Sixtinische Kapelle erinnern. Später soll Katharina Sieverding präsentiert werden, von der die Deutsche Bank wiederum reichlich Ankäufe besitzt. Und weil man schon seit Jahren junge Kunst fördert, wird es irgendwann auch diese eher unbekannten Arbeiten in Berlin zu sehen geben – sehr zum Ärger von Thomas Krens, der von dieser Idee angeblich zum ersten Mal auf der Pressekonferenz am Donnerstag hörte.
Was sich in Bilbao wie ein Kraftakt ausnimmt, mit dem der wirtschaftlich laborierenden Nordregion ein kulturelles Highlight aufgepfropft wurde, kommt in Berlin unspektakulär daher. Der Ausstellungsraum nimmt etwas über 400 Quadratmeter ein – im Hamburger Bahnhof entspricht diese Fläche nicht einmal einem Seitenflügel. So steht das Gebäude für eine zeitgemäße Unternehmensphilosophie: unscheinbar, aber mit Stil. Deshalb wurde das Gebäude auch von dem Architekten Richard Gluckman entworfen, der als Museumsspezialist das New Yorker Dia Center for the Arts sowie das Andy Warhol Museum in Pittsburgh realisiert hat und derzeit das Whitney Museum renoviert.
Die Deutsche Bank wollte ihre Filiale Unter den Linden nicht bloß für den Kundenverkehr nutzen, sondern sich mit der zusätzlichen Galerie am Relaunch der Hauptstadt beteiligen, weil man „eine Metropole vor allem am Kulturleben erkennt“. So sieht es Vorstandssprecher Rolf-E. Breuer, der sich der Stadt als „corporate citizen“ verpflichtet fühlt. Andererseits erhofft sich der Banker von der Partnerschaft mit dem potenten Museum allerlei Wertsteigerungen: Hier die Bank mit einem Budget für Transport und Versicherung, dort die Sammlung zeitgenössischer Kunst mit ihren Picassos, Pollocks oder eben Delaunays – voilà, schon hat man einen Synergie-Effekt oder edit value, wie Breuer das Joint venture nennt. Ein anderer Gewinn liegt für ihn im use value, aber damit sind nur längere Öffnungszeiten bis 20 Uhr gemeint. Auch hier möchte man neue Maßstäbe in Sachen Dienst am Kunden setzen, mit dem sich die verschnarchten Berliner Museen ja schwertun.
Obwohl sich beide Seiten offenbar alle Mühe mit der Initiative „Deutsche Guggenheim Berlin“ gegeben haben, hält sich die Begeisterung vor Ort in Grenzen. Zwar wurde ein perfektes Service-Paket geschnürt, das vom dezent beleuchteten white cube bis zu sogenannten „Lunch-Lectures“ reicht, bei denen sich das Publikum während der Mittagspause mit Vorträgen weiterbilden soll. Aber die Ziele der Partnerschaft zwischen Kunst und Kapital sind ziemlich unklar: Schon redet man im Fall Bilbaos von Augenwischerei, mit der „der Provinzstadt auf Zeit und Pump Weltranggefühle“ vorgespiegelt werden, wie Edouard Beaucamp in der FAZ schrieb. Dafür hat das baskische Zentrum eine Bausumme von 275 Millionen Mark hinblättern müssen – und die dort ausgestellten Werke sind nur Leihgaben, bei einem Honorar von 20 Millionen Dollar für einen Zwanzigjahresvertrag. Auch für das Berlin-Projekt mag sich Krens bislang nur auf eine Laufzeit von zehn Jahren festlegen. Schließlich warten noch andere Städte und Länder auf die Segnungen der Guggenheim-Stiftung – in Japan fehlen Museen, und in Moskau vergammeln die Bilder wegen der mangelnden Betreuung durch Restauratoren.
Tatsächlich ist Krens immer wieder dafür kritisiert worden, daß er mit der enormen Ausweitung des Guggenheim-Museums eine Art McDonaldisierung der Kunst betreibt. Einige Ausstellungsmacher werfen ihm vor, die Sammlung nur für wirtschaftliche Interessen zu nutzen. So hatte Krens 1990 Mimimal- und Concept-Art gekauft und dafür Bilder von Chagall oder Kandinsky abgestoßen. Statt kunsthistorische Interessen zu vertreten, agiert Krens wie ein Manager, der die Kulturvermittlung nicht vom Profit trennen mag. Die Angriffe nimmt er dabei mit Gelassenheit: Nur durch seine konsequente Haushaltspolitik habe sich das Guggenheim-Museum zur wichtigsten Kunstinstitution entwickelt. Wer ihm lediglich Dealer- Mentalität unterstellt, würde vergessen, daß auf seine Initiative hin gerade die riesige Robert-Rauschenberg-Retrospektive in New York zu sehen ist. Daß dort auch eine ganze Reihe mittelmäßiger und überflüssiger Werke gezeigt werden, interessiert den Museumsmann nicht.
Mit den ausgestellten Werken von Robert Delaunay geht man zumindest diesen Problemen aus dem Weg. Der französische Maler gilt als sichere Bank, ein anerkannter Kubist, dessen Städtebilder seiner Zeit sehr viel näher scheinen als Picassos Porträts, Stilleben oder Landschaften. Außerdem kann man Delaunays Versuche, die Gegenstände in Farbflächen zu zerlegen, als konsequente Abstraktion bewundern. Selbst für deutsche Expressionisten wie Kandinsky, Franz Marc oder August Macke diente sein Frühwerk als Vorbild. Schließlich gibt es sogar den obligatorischen Berlin-Bezug: Die erste, ausschließlich Delaunay gewidmete Ausstellung fand 1913 in Hervarth Waldens „Sturm“-Galerie statt.
Das alles ist von dem New Yorker Kurator Normann Rosenthal mit Bedacht aufgearbeitet und hübsch gehängt worden. In fünf Kabinetten kann man sehen, wie sehr sich Delaunay zu Beginn an Paul Cézannes Farbpalette und dem Lichtspiel der Impressionisten orientiert; wie aus Studien der St.-Severin-Kirche verwegene Perspektiven entstehen; wie sich der Eiffelturm allmählich unter dem Einfluß des Kubismus biegt und verschachtelt; und wie zuletzt nur pastellfarbene Flächen übrigbleiben, in die der Maler seine „Fenster“ auflöst. Unscheinbar, aber mit Stil. Die „Deutsche Guggenheim Berlin“ kann die Retrospektive getrost als Beitrag zur Imagepflege verbuchen. Mehr nicht.
Bis 4. Januar 1998, Berlin.
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