Noch immer jede Menge Zündstoff

■ Nach den Kommunalwahlen in Bosnien konstituieren sich die ersten Gemeinderäte. Vielerorts wie in Srebrenica oder Brčko ist keine Lösung in Sicht

Sarajevo (taz) – Noch vor wenigen Wochen schien es unmöglich, die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Bosnien-Herzegowina überhaupt umzusetzen. Vor allem in jenen Gemeinderäten, wo die Vertreter der Vertriebenen in Zukunft neben den Vertretern der Vertreiber sitzen sollen, gibt es jede Menge Zündstoff.

Doch jetzt ist es soweit. Die gewählten Vertreter von 60 der 134 Kommunen in allen Teilen des zerrissenen Landes haben sich bereits getroffen und Prozeduren über die Wahl der Bürgermeister, deren Stellvertreter und anderer Posten festgelegt. Erstaunlich ist, daß bis auf die Problemgemeinden die Installierung der Gemeinderäte ohne die befürchteten Konflikte abgelaufen ist.

In der ostbosnischen und im Mai 1992 von Serben besetzten Stadt Visegrad schickten die serbischen Behörden am letzten Montag lokale Polizisten zur Gemeindegrenze, um die Vertreter der vertriebenen muslimischen Bevölkerung bis zum Bürgermeisteramt zu bringen. Der Geleitschutz war nicht einmal nötig. Denn in der Stadt blieb alles ruhig.

„Wir fühlen uns durch diese Entwicklung sehr ermutigt“, erklärt einer der Mitglieder der internationalen Polizei IPTF in Visegrad. Die nichtbewaffneten internationalen Polizisten hätten bei Gefahr auch gar nicht eingreifen können. „Unsere Strategie ist, die lokale Polizei für den Schutz dieser Leute verantwortlich zu machen. Und das hat bisher geklappt.“ Auch im Hauptquartier der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist man bisher zufrieden. „Wir wollen die Gemeinden nur beraten. Die Regeln für die Zusammenkünfte der Gemeinderäte sind vorgegeben. 30 Tage nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse sollen sie zusammentreten. Die Räte sollen dann selbst die Prozeduren für die Wahl der Bürgermeister und ihrer Stellvertreter ausarbeiten und durchsetzen.“

Die Frist läuft in diesen Tagen in den meisten Gemeinden ab. 50 weitere Gemeinden haben schon die Termine für die konstituierenden Sitzungen bekanntgegeben. Bei den restlichen Gemeinden sind allerdings scharfe Auseinandersetzungen zu erwarten, so zum Beispiel in Srebrenica, in Brčko, in Bosanski Brod, in Grahovo, in Zvornik, und in Velika Kladusa.

In Srebrenica ist bisher noch kein Termin für die konstituierende Sitzung anberaumt. Die serbischen Parteien – hier haben die Serbische Demokratische Partei von Radovan Karadžić und die Radikale Partei des serbischen Faschistenführers Vojislav Šešelj die Mehrheit der serbischen Stimmen gewonnen – wollen das Wahlergebnis nicht akzeptieren. Denn die Mehrheit in dem neuen Gemeinderat wird eine muslimische sein.

Gerüchte werden in die Welt gesetzt. So sollen Listen aufgestellt worden sein, auf denen muslimische Vertreter des Gemeinderats als „Kriegsverbrecher“ geführt werden. Diese Leute sollen, sobald sie in der Stadt sind, verhaftet werden. Auch in Zvornik und anderen Städten soll Angst unter den Vertretern der muslimischen Bevölkerung verbreitet werden. Da bisher weder OSZE noch IPTF Garantien für die Sicherheit der Vertreter der Vertriebenen gegeben haben, ist in diesen Gemeinden an konstituierende Sitzungen des Gemeinderates noch nicht zu denken. Auf dem Gebiet der bosniakisch- kroatischen Föderation sind die Probleme anders gelagert. In der in der Region Tuzla gelegenen Stadt Lukavac, in der die Sozialdemokratische Partei und die muslimische Nationalpartei SDA gleich aufliegen, wird hart um den Posten des Bürgermeisters gekämpft. Innerhalb der Parteien sind Konflikte ausgebrochen. „Jeder will an den Futtertrog, das ist eine normale demokratische Prozedur“, erklärt der Sprecher der OSZE in Tuzla, Paul Hockenos, „die Konflikte in Banja Luka sind ähnlich gelagert.“

In der zentralbosnischen Stadt Zepče dagegen wollen die kroatischen Behörden die Wahlergebnisse nicht anerkennen. Und in der ehemals mehrheitlich von Serben bewohnten Region um Drvar und Grahovo wollen nach dem Wahlsieg einer serbischen freien Liste die serbischen Bewohner gegen den Willen der jetzt dort herrschenden kroatisch-bosnischen Behörden und gegen den Willen der serbischen Nationalistenpartei SDS zurückkehren.

Doch trotz aller Hindernisse werten Vertreter der internationalen Gemeinschaft in Sarajevo den Wahlprozeß als Erfolg. Wenn die meisten Gemeinden in absehbarer Zeit über funktionierende Strukturen verfügen, könnten Wiederaufbaugelder fließen. Die dann entstehende Sogwirkung würde auch Lösungen in den Problemgemeinden beflügeln. Erich Rathfelder