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Polizeipräsident unter Beschuß

Hubert Wimber, grüner Polizeipräsident von Münster, verteidigt Schlagstockeinsatz bei „Schienenaktionstagen“ in Ahaus. Bürgerrechtsgruppen protestieren  ■ Von Walter Jakobs

Münster (taz) – Bürgerrechtsgruppen und Anti-Atom-Bürgerinitiativen rund um Ahaus reden von einem „überzogenen, verantwortungslosen und offen rechtswidrigen Polizeieinsatz“, Hubert Wimber, der grüne Polizeipräsident von Münster, wirft den Veranstaltern der „Schienenaktionstage“ vor, getroffene Absprachen „nicht eingehalten“ zu haben.

104 DemonstrantInnen waren Mitte Oktober bei der Demonstration gegen Castor-Transporte ins atomare Zwischenlager Ahaus festgenommen und stundenlang in Sammelunterkünften festgehalten worden. Zu den Festnahmen mit „teilweise unglaublicher Brutalität“, wie eine Gruppe grüner Funktionäre kritisiert, war es gekommen, nachdem mehrere hundert Leute die genehmigte Demonstrationsroute verlassen hatten, in Richtung Gleisanlagen. Gemäß der Absprache mit den örtlichen Bürgerinitiativen und der Münsteraner Polizeiführung waren die Gleise unbewacht. Man habe diesem „Wunsch“ der Demonstrationsanmelder entsprochen und die Polizeikräfte abseits der Gleise in Reserve gehalten sowie auf die versprochene Einhaltung der Demonstrationsauflagen gehofft, so Polizeieinsatzleiter Horst Haase. Dennoch sei schon während der Kundgebung für die Schienenaktion geworben worden.

Tatsächlich hatten bei den „Schienenaktionstagen“ mehrere hundert Menschen die Gleise erreicht. Während sich manche sofort ans Werk machten, die Verschraubung der Schienen zu lösen, stopften andere ihre Taschen mit Steinen voll. Es kam zu Unterhöhlungen des Gleiskörpers und zu einem Sachschaden von etwa 10.000 bis 20.000 Mark.

Was als „Deeskalationsmaßnahme“ gedacht war, nämlich möglichst wenig Polizeipräsenz offen zu zeigen, hat möglicherweise das Gegenteil bewirkt. Haase spricht von „einer hektischen Phase“, verursacht durch mangelnde Polizeipräsenz. Der 71jährige Paul Michalowicz aus Hagen hat diese „Phase“ so in Erinnergung: „Hunderte Demo-Teilnehmer wurden von der Polizei wie Freiwild über Wiesen und Felder getrieben.“ Dabei habe er selbst beobachtet, daß junge Leute „brutal zu Boden gerissen und geschlagen wurden, obwohl sie gegen die stark bewaffneten Polizisten völlig hilflos waren“.

Wimber räumt „Fehler“ auf seiten der Polizei ein, doch den Schlagstockeinsatz hält er „für legitim“. Wo „hinreichende Anhaltspunkte“ auf strafrechtlich relevante Vergehen von Beamten vorlägen, werde dem nachgegangen und der Fall der Staatsanwaltschaft übergeben. In mehreren Fällen ist das bereits geschehen. Zum Beispiel wegen Beleidigung von Demonstranten („linke Zecke“) oder wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt. Hier geht es um den filmisch gut dokumentierten Angriff eines Polizeibeamten auf einen friedlichen Demonstranten und die Verfolgung eines Fotografen.

Im Grunde, so glaubt Wimber im Einvernehmen mit Einsatzleiter Haase, sei der Polizeieinsatz „angemessen“ abgelaufen. Ob in jedem Falle verhältnismäßig, werde intern intensiv überprüft.

Die Verhältnismäßigkeit sehen Bürgerrechtsgruppen wie das Komitee für Grundrechte verletzt. Sachbeschädigungen und das Zersägen von Schienen seien zwar nicht legal, aber viele Demo-Teilnehmer sähen darin nun einmal „angesichts der lebensbedrohlichen Anwendung der Atomenergie“ einen „legitimierbaren Akt zivilen Ungehorsams“. Deshalb sei „die Polizei nicht berechtigt, mit allen Gewaltmitteln gegen diejenigen vorzugehen, die die Gleisanlagen betreten“. Die Polizei sei zum Einsatz verpflichtet gewesen, betont Hubert Wimber. Und dieser Linie werde er auch in Zukunft folgen. Auch von einem grünen Polizeipräsidenten könne niemand ernsthaft erwarten, „daß er den gesetzlichen Auftrag der Polizei, Straftaten zu verhindern und zu verfolgen, außer Kraft setzt“.

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