: Den Mächtigen stets auf den Fersen
■ Die Grande Signora des italienischen Journalismus, Camilla Cederna, ist tot. So mancher stolperte über ihre Texte, auch ein Staatspräsident
Rom (taz) – Ihre große Zeit war in den siebziger Jahren, heute kennen ihren Namen fast nur noch Insider. Und natürlich die Politiker, denn ihnen hatte Camilla Cederna zeitlebens ihre Grenzen aufgezeigt. Geboren 1911 in Mailand, hatte die gestern morgen verstorbene Mitarbeiterin von L'Europeo und L'Espresso grundsätzlich all jene ins Visier genommen, die Macht vor allem als Freibrief für Bereicherung und Willkür sahen.
Zuerst als Berichterstatterin aus der mondänen Welt, dann als Kritikerin der verfaulenden Bourgeoisie ihrer Heimatstadt. Als Enthüllungsjournalistin fuhr Camilla Cederna Erfolge wie sonst kaum jemand anderes aus der schreibenden Zunft ein. Der Höhepunkt kam dann im Jahre 1978: Ihr Buch über den damaligen italienischen Staatspräsidenten, mit dem Titel „Giovanni Leone, Karriere eines Präsidenten“, zeigte all die Intrigen und den schrankenlosen Nepotismus des neapolitanischen Politikers auf, der 1971 erst nach 23 Wahlgängen und nur mit Hilfe der Neofaschisten zum Staatsoberhaupt bestimmt worden war.
Leone wehrte sich mit Drohungen und schwerem Druck auch gegen Cedernas Verleger Feltrinelli und seine Zeitschriften. Doch alle Bemühungen waren vergebens. Am Ende mußte er schließlich doch noch vor Ablauf seines Mandats zurücktreten.
Zwar wurde Camilla Cederna später mehrere Male zivilrechtlich verurteilt – doch faktisch nie wegen falscher Tatsachenbehauptungen, sondern meist nur wegen ihrer direkten, ungeschminkten Sprache, die das jeweilige Gericht als Verunglimpfung wertete. Camilla Cederna war, kein Zweifel, eine sehr frühe Vorläuferin des Selbstreinigungsprozesses Italiens, der dann in den neunziger Jahren von den Staatsanwälten der Antikorruptionskommission „Saubere Hände“ initiiert wurde.
Auslöser der vollen Hinwendung zum politischen Journalismus war bei Camilla Cederna das Bombenattentat auf die Mailänder Landwirtschaftsbank 1969 gewesen, in dessen Gefolge der völlig unschuldige Anarchist Giuseppe Pinelli verhaftet wurde und wenig später auf niemals geklärte Art aus dem Fenster des Mailänder Polizeipräsidiums in den Tod stürzte. „Pinelli, ein Fenster zum Massaker“ hieß Camilla Cedernas Buch, in dem sie diesen Vorfall schilderte.
Im Laufe der Jahre wurde Camilla Cederna so zum Leitbild des „Giornalismo feminile“. Sie und nicht etwa Rossana Rossanda, die durch ihre Meinungsartikel in il manifesto berühmt geworden war, wurde zum großen Idol zahlreicher junger italienischer Nachwuchsjournalistinnen. Der Unterschied zwischen den beiden war signifikativ: Während Rossanda sehr oft Fakten durch reine Überzeugungen und Vorurteile ersetzte, blieb Camilla Cederna stets auf dem Boden der Tatsachen, recherchierte unermüdlich und hütete sich stets vor Überinterpretationen. Nicht zuletzt dadurch sorgte sie, im Gegensatz zu der eher apokryphen Rossanda, auch immer dafür, daß ihre Artikel lesbar blieben. Werner Raith
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