Jobzwang nach sechs Monaten

Expertenrunde zum Arbeitsmarkt: Größere Lohnspreizungen und mehr Arbeitszwang sind zwiespältige internationale Rezepte gegen die Erwerbslosigkeit  ■ Aus Berlin Barbara Dribbusch

Auf dem Podium saßen die Quotengewinner: Arbeitsmarktexperten aus Holland, Großbritannien, Dänemark, den USA. Länder, in denen es in den vergangenen Jahren gelungen ist, die Arbeitslosenquoten zu senken. „Was kann Deutschland von diesen Ländern lernen?“ so lautete die Standardfrage bei der internationalen Arbeitstagung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Berlin. Die Antwort: Es gibt mehrere Wege, um die Arbeitslosenquoten zu senken – aber immer ist dafür ein Preis zu zahlen.

In Großbritannien frage man sich inzwischen, ob die Senkung der Arbeitslosigkeit nicht zu teuer erkauft wurde, erklärte Nigel Meager vom Institute for Employment Studies in Brighton. Die Briten sind stolz auf ihre 8,2 Prozent Arbeitslosigkeit (OECD-Statistik von 1996). Die gesunkenen Arbeitslosenquoten hätten jedoch sehr viel mit der Verschärfung und zeitlichen Begrenzung von Arbeitslosenunterstützung zu tun, so Meager. Seit vergangenem Jahr bekommen erwerbslose Briten nur noch höchstens sechs statt früher zwölf Monate lang Arbeitslosengeld. Die Leistungsempfänger müssen ständig nachweisen, daß sie aktiv Arbeit suchen. Dementsprechend verschwinden die Arbeitslosen schneller aus der Statistik, als die Zahl der Erwerbstätigen steigt.

Der Anteil der Haushalte (ohne Rentnerhaushalte), die „ökonomisch inaktiv“ sind, in denen also niemand Geld verdient, liegt heute in Großbritannien bei etwa 20 Prozent. Der sogenannte Gini-Koeffizient, der Einkommensungleichheit statistisch ausdrückt, erreicht in Großbritannien von allen EU- Ländern den höchsten Wert.

In Dänemark und den Niederlanden sanken die Arbeitslosenquoten allerdings auf 6,0 beziehungsweise 6,6 Prozent (1996), ohne daß es zu größeren Einkommensungleichheiten kam. „Damit sind wir ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik ohne Sozialabbau“, betonte Beschäftigungsexperte Bo Hammer von der Universität Kopenhagen.

Der dänische Sozialstaat ist jedoch auch strenger geworden: keine Rechte ohne Pflichten. Schon nach wenigen Monaten Arbeitslosigkeit haben Erwerbslose das Recht auf eine Art individuellen Handlungsplan. Spätestens nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit wird dem Betroffenen ein öffentlich bezahlter „Aktivierungsjob“ angeboten, den er auch annehmen muß. „Die Bezahlung für diese Vollzeitarbeit ist nicht höher als das Arbeitslosengeld“, erklärte Hammer. Damit soll die Motivation gesteigert werden, einen Job auf dem privatwirtschaftlichen Arbeitsmarkt zu finden.

Für jüngere Menschen unter 25 Jahren gelten in Dänemark noch striktere Regeln. Wer ein halbes Jahr lang keinen Job hatte, muß einen zugewiesenen Kurs oder eine Arbeit annehmen, andernfalls gibt es keine staatliche Unterstützung mehr. Die neue Pflicht zeigt Wirkung: „Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit bewegen sich bei uns inzwischen auf niedrigem Niveau“, so der dänische Sozialexperte. Viele junge Leute suchen sich lieber selbst einen Job, bevor sie in eins der Pflichtprogramme müssen.

In einem so komplexen System wie der europäischen Wirtschaft sind die Erfolgsmethoden des einen Landes jedoch keinesfalls auf ein anderes Land übertragbar, auch das zeigte sich bei der Podiumsdiskussion. In Dänemark ist die Erwerbsbevölkerung beispielsweise in den vergangenen Jahren gesunken, die mittelständisch geprägte Wirtschaft hatte nicht annähernd mit den Jobverlusten zu kämpfen wie etwa Ostdeutschland.

Besonders der Fall der Niederlande zeigt, daß nationale Rezepte nur national gelten. In Holland werden inzwischen sowohl der feste Wechselkurs als auch die stagnierenden Löhne dafür verantwortlich gemacht, daß die Arbeitslosenquote dort niedrig ist. Diese „Lohnzurückhaltung“ spiele für die Beschäftigung in Holland eine andere Rolle als in Deutschland, da die niederländische Wirtschaft vor allem auf den Import und Export ausgerichtet sei, so Ronald Schettkat von der Universität Utrecht. In einem geschlossenen System wie der Bundesrepublik kämen dagegen die binnenwirtschaftlichen Effekte der sinkenden Kaufkraft stärker zum Tragen. Theoretisch sei nicht eindeutig zu klären, welcher Effekt der Lohnzurückhaltung für die Arbeitsmärkte dominiere: die nachlassende Kaufkraft oder der Anreiz für Investitionen durch die mäßigen Löhne.

Der IAB-Forscher Lutz Bellmann hat in vergleichenden internationalen Studien festgestellt, daß größere Lohnunterschiede zwar zu einer Verringerung der Langzeitarbeitslosigkeit führen, weil die schlecht bezahlten Unqualifizierten dann nicht so leicht entlassen würden. Die Lohnspreizung führe aber dennoch nicht zu einem höheren Beschäftigungswachstum mit neuen Jobs.