Dichterin wieder im Knast

■ Russische Lyrikerin Alina Wituchnowskaja verhaftet. Neuer alter Vorwurf: Drogenhandel

Moskau (taz) – Am Montag abend wurden die Hoffnungen der Angehörigen der jungen russischen Dichterin Alina Wituchnowskaja (25) ein weiteres Mal enttäuscht. Ein Moskauer Bezirksgericht lehnte den Antrag ab, die Lyrikerin gegen Auflagen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Erneut verhaftet worden war sie Ende Oktober, direkt im Gerichtssaal. Obwohl sie an jenem Tage fieberte und über ein Attest verfügte, hatte der Richter sie inständig gebeten, „nur für ein paar Minuten“ zur Verhandlung zu erscheinen.

Hinter Gitter geraten war sie zum ersten Mal im Spätherbst 1994 – für ein ganzes Jahr. Die Anklage lautete auf Handel mit synthetischen Drogen. Die depressive junge Frau war schon damals eine Kultfigur der Moskauer Jugendszene. Ihre ersten Gedichtbände erregten Aufsehen. Außerdem schrieb sie Artikel über den Handel mit Synthetikdrogen und LSD- Konsum unter Jugendlichen.

Unabhängige Beobachter des Verfahrens kamen zu dem Schluß, daß hier ein Fall einfach „fabriziert“ worden war. Die Zeugen der Anklage kippten vor Gericht um wie Dominosteine. Ab Sommer 1995 beteiligte sich der russische PEN-Club an Alinas Verteidigung. Auf die Frage, wozu die Inszenierung dienen könnte, erinnerte sich die Lyrikerin an Verhöre durch Mitarbeiter des Geheimdienstes FSB, die nach dem Drogenkonsum der Kinder berühmter Eltern fragten. Wituchnowskaja: „Sie brauchten kompromittierendes Material vor den Wahlen.“ Die junge Frau wurde schließlich freigelassen, gegen die Auflage, sich regelmäßig bei der Miliz zu melden.

Im Sommer 1997 erhielt Wituchnowskaja ein Literaturstipendium der Hamburger Toepfer-Stiftung: einen einjährigen Deutschlandaufenthalt. Von dem Angebot der Obrigkeit, zur Preisübergabe nach Deutschland zu reisen, machte sie keinen Gebrauch. Alexander Tkatschenko, Vorsitzender des russischen PEN-Clubs, meint, daß der Prozeß längst zum Machtkampf des FSB mit den Intellektuellen ausgeartet ist. „Da vollzieht sich ein Spiel der Ambitionen, über dem sie Alina schon längst vergessen haben“, erklärte er der taz. „Denen, die diese ganze Angelegenheit ausgeheckt haben, ist es jetzt wichtig, daß Alina schuldig gesprochen wird, damit sie selbst die Ehre ihrer Uniform retten können.“ Barbara Kerneck