Neues Museum maßvoll danebengeplant

David Chipperfield soll den kriegszerstörten „Stüler-Bau“ behutsam erweitern. Die alte Fassade wird fast original rekonstruiert. Doch im Innern muß er aus der Not gravierende Umbauten vornehmen: Schuld sind Museumsmacher und Denkmalpfleger  ■ Von Rolf Lautenschläger

Geht es um Museumsbauten, verhält man sich in Berlin diametral zu den Projekten für neue Geschäftshäuser und Bürogebäude. Wird bei diesen, wie etwa am Potsdamer Platz, der City West oder in der Friedrichstraße mit Beton nur so geklotzt, kleckert man bei jenen eher. Die Erweiterung des ehemaligen Hamburger Bahnhofs für ein Museum der Gegenwart geriet dergestalt zu einer zurückhaltenden Politur des Altbaus, an den eine schmale elegante Halle angedockt wurde. Nicht anders nimmt sich die Gemäldegalerie am Kemperplatz aus. Die Physiognomie des Neubaus im Stil der „Kritischen Rekonstruktion“ kann man getrost vergessen, ganz im Gegensatz zur Innenwirkung des neuen Museums. Die Ausnahme unter den unscheinbaren Ausstellungshäusern, das Jüdische Museum, von Daniel Libeskind als wildes Zickzack-Ensemble geplant, bleibt um so mehr ein Unikum, als es die Auftraggeber vom Land Berlin bis dato als ungeliebtes Kind in der Museumslandschaft der Hauptstadt betrachten.

Bei so viel „Behutsamkeit“ samt Rekonstruktionseifer ist es kein Wunder, daß auch der Wiederaufbau des Neuen Museums auf der Museumsinsel nun ohne bauliche Eskapaden über die Bühne gehen wird. Nach einem Wettbewerb 1994, einem siegreichen Entwurf von Giorgio Grassi (Mailand), der 1996 von den Museumsmachern ob seiner Biederkeit gekippt wurde, und einem neuerlichen Gutachterverfahren darf jetzt der Engländer David Chipperfield das kriegszerstörte Kunstmuseum aus dem 19. Jahrhundert „maßvoll und unter Berücksichtigung der denkmalwerten Bausubstanz wiederherstellen“, wie Werner Knopp, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, befand. Der Entwurf Chipperfields stellt den rechtwinkligen Bau Friedrich August Stülers aus dem Jahre 1855 nicht nur in seinen Umrissen wieder her. Er ergänzt das Gebäude, das die Ägyptische Sammlung inklusive Nofretetes schöner Büste beherbergen soll, durch einen kleinen sachlich- schicken Anbau und spannt eine Brücke zum Alten Museum Karl Friedrich Schinkels hinüber.

Ob Knopp und die Museumsmacher der Stiftung, insbesondere Wolf Dieter Dube, mit der „maßvollen“ Lösung letztendlich zufrieden sind, mag zweifelhaft bleiben, haben sie doch im Gezänk mit den Denkmalpflegern den kürzeren gezogen. Dubes Favorit, der Architekt Frank O. Gehry – der gerade in Bilbao ein neues Ausstellungsgebäude errichtete –, ließ sich mit seinen dekonstruktivistischen Plänen nicht durchsetzen. Noch während des Gutachterverfahrens forderten Kunsthistoriker, darunter Helmut Börsch-Supan, der Wiederaufbau des Neuen Museums „gebietet eher behutsame Pflege als forsches Drauflosbauen“. Und auch Berlins Landeskonservator Helmut Engel polemisierte pro Chipperfield und gegen die Gehrysche Umwandlung, die „Schlimmes befürchten läßt“. Daß Gehry in der Zwischenzeit seine bizarren Entwürfe geändert hatte und recht brav daherkam, wurde ebenso ignoriert wie die Tatsache, daß die bröckelnden Museen auf der Museumsinsel den Anforderungen zeitgemäßer Nutzung längst nicht mehr genügen.

Doch die Denkmalschützer könnten sich gerade mit ihrem Plädoyer für die behutsame Sanierung Chipperfields und ihrer Ignoranz gegenüber einem modernen Raum- und Sammlungskonzept ins eigene Fleisch schneiden. Zwar hat man sich bei dem Kompromiß zwischen Museumsmachern und den Konservatoren bezüglich der klassizistischen Fassade und des Dekors angenähert, weil diese „möglichst vollständig und authentisch“, so Chipperfield, rekonstruiert werden. Der Verzicht auf eine große Erweiterung (wie sie Gehry plante und die dem Altbau innen Raum gelassen hätte) zwingt Chipperfield aber zu Umbauten im Innern – die den Vorstellungen der auf das originale Volumen bedachten Denkmalpflegern gerade zuwiderlaufen dürften.

Schon die veränderte Eingangssituation von Westen her bringt Schwierigkeiten mit sich. Das zerstörte hohe Treppenhaus, das wegen seiner wunderbaren Proportionen und der berühmten Wandmalereien von Wilhelm von Kaulbach zu den Inkunabeln der Museumsarchitektur zählte, soll mit kühler Sachlichkeit wiederaufgebaut werden. Durch den neuen Westeingang und das notwendige Besucherfoyer mit Kassen, Shops und Buchläden zieht Chipperfield eine Decke quer durch das Mittelschiff, führt eine Wendeltreppe ins Obergeschoß und setzt dann eine kleine Treppenkopie obendrauf, was die einstige Halle im Maßstab schändlich verkleinert.

Nicht viel weniger problematisch muß der Architekt auf die Wünsche der Museumsleute und ihre Pläne für einen Rundgang entlang der historischen ägyptischen Highlights bis hinüber zum Pergamonmuseum reagieren. So baut er den einstigen ägyptischen Flügel mit Hof wieder in den originalen Proportionen auf. Um Raum für die Exponate und die Besuchermassen zu erhalten, ist er jedoch gezwungen, eine weitere Treppe und drei neue Ebenen einzubauen. Im gegenüberliegenden griechischen Hof geht's nicht weniger eng zu: Dort stellt Chipperfield ein weites Podest in den Hof, das als Geschoß zusätzliche Fläche bietet, aber den Raum staucht.

Wie sehr das Neue Museum nach einer eigentlichen Erweiterung schreit, um die Proportionen im Innern nicht ganz auszulöschen, hat auch Chipperfields Entwurf eingeklagt. Quasi als Restposten der nötigen Zusatzflächen schuf er für die Verbindung zum Pergamonmuseum nicht eine bloße Passage, sondern plant einen Verbindungsbau in ganzer Höhe des Neuen Museums. Dort sollen auf zwei Ebenen zusätzliche Ausstellungshallen geschaffen werden, die zugleich als Gelenk zum Pergamonmuseum dienen. Hier zeigt der Architekt den fundamentalistischen Konservatoren, worauf es eigentlich ankam: auf die Befreiung des Neuen Museums, nicht seine denkmalgeschützte Gefangennahme.