■ Rußland: Tschubais muß wegen Korruption gehen – aber nur halb: Relative Moral
Finanzminister Tschubais muß gehen – stellvertretender Regierungschef Anatoli Tschubais macht weiter wie gehabt. Disziplinarmaßnahmen des Kreml folgen einer recht komplizierten Logik und unterliegen einer eigenwilligen Auffassung von Rechtschaffenheit. 90.000 US-Dollar hat Finanzminister Tschubais für ein Buchprojekt über die Privatisierung erhalten, deshalb muß er nun einen Posten räumen.
Angesichts der Summen, die in Rußland hin und her geschoben werden, ist der Betrag eher eine Quantité négligeable. Und die politische Elite, in welchem Lager sie sich vorübergehend auch aufhält, würde eigentlich darüber kein Sterbenswörtchen verlieren. Gilt doch seit Jahrhunderten in der russischen Politik die stillschweigende Übereinkunft, ein neues Regierungsmitglied müsse sich notgedrungen erst einmal die Taschen vollstopfen. Wer ahnte schließlich, wie lange die Gunst des Zaren währt. Nur eines weiß man instinktiv: Danach ist es zu spät, der Staat kennt keine Sorgepflicht.
Selbstverständlich ist es bedauerlich, auch „Westler“ Tschubais nun in dieser Traditionsgemeinde begrüßen zu müssen. Ja, es überrascht sogar ein wenig, daß der bestgehaßte Mann des Landes und mit allen Wassern gewaschene Prügelknabe der Opposition – eine Rolle, die ihm übrigens diebisches Vergnügen bereitet – sich wegen einer solchen Lächerlichkeit dem Angriff der seit Monaten lauernden Gegner aussetzt und Chef Jelzin in Mißkredit bringt. Da ist offenkundig einiges schiefgelaufen, was den lagerübergreifenden Bereicherungskonsens vorübergehend außer Kraft gesetzt hat, den „Rothaarigen“ sogar erröten ließ.
Doch nicht den Kommunisten kommt das Verdienst zu, diese Affäre, die eigentlich keine ist, aufgedeckt zu haben. Wie immer fungieren sie nur als Trittbrettfahrer und stauben ab. Endlich bot sich ihnen ein Anlaß, die notorische Rücktrittsforderung mit Substanz anzureichern. Das Material lieferte ihnen unterdessen Multimilliardär Boris Beresowski, den Delinquent Tschubais vor kurzem aus dem Sicherheitsrat kippte. Der Geschäftsmann nutzte allzu frech sein Amt, um den privaten Kapitalstock zu erweitern. Nun revanchiert er sich, weil er statt Oligarchie noch lieber das Modell seines Monopolkapitalismus sehen würde. So erklärt sich die Interessenkonvergenz mit den Kommunisten.
Das entschuldigt Tschubais' Fauxpas keineswegs, sagt allerdings doch einiges über die Relativität der Moral in Moskau und Jelzins Entscheidung, den stellvertretenden Regierungschef im Amt zu belassen. Klaus-Helge Donath
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