: Seid nett zu unkompletten Tieren
■ Alle Jahre wieder: Das Weihnachtsmärchen. Diesmal Gerdt von Bassewitz's „Peterchens Mondfahrt“als buntes Gefälligkeitsdekor unter der Regie von Michael Heicks im Thalia Theater
Knallpengbumm. Peterchen, Anneliese und Maikäfer Sumsemann landen auf dem Mond. Der Sandmann sitzt herrschsüchtig auf einem überdimensionalen Teleskop und will die Kinder samt Käfertier gleich wieder von dem kalten Himmelskörper schmeißen. Doch mit Äpfeln und Liebsein kommt man auf dem Mond ganz gut durch, der widerborstige Sandmann jedenfalls läßt sich leicht becircen. Als er erfährt, daß die Kinder immer nett zu Tieren waren, bringt er sie sogar zur Nachtfee. Und so rangeln sich die beiden schließlich bis zum Mondmann durch.
Die Geschichte von Peterchen (Dirk Ossig) und seiner Schwester Anneliese (Alexandra Henkel), die eines Nachts einen fünfbeinigen Maikäfer treffen und sich mit ihm auf die Suche nach seinem fehlenden Insektenbein machen, hat Michael Heicks Inszenierung nun als obligatorisches Weihnachtsstück auf die Bühne des Thalia Theaters geholt. Die Bühnenadaption des Kinderbuchs von Gerdt von Bassewitz wird in dem frisch renovierten Haus zum blankgeputzten Spektakel. Der Sandmann fährt eine Luxuskarosse, der überdimensionale Eisbär erinnert in all seiner Putzigkeit an einen Walt-Disney-Entwurf und Weihnachts- und Lebkuchenmänner, die den Kindern Proviant mitgeben, sehen aus wie animierte Legomännchen. Alles ist groß und bunt. Fernsehverwöhnte Kinder brauchen Effekte, so scheint man zu glauben.
Die traditionelle Langsamkeit des Märchens ist in den Neunzigern offenbar nicht mehr zeitgemäß. Das Theater wird zur effekthaschenden Show. Und natürlich funktioniert das bestens. Das aufwendige Bühnenbild von Christin Vahl bietet immer neue Überraschungen und so gilt der Szenenapplaus nicht den Schauspielern, sondern dem ständig wechselnden Dekor. Das Ganze macht sich wie ein sehr hübsch verpacktes Geschenk, bei dem es vor lauter Glanzpapier nicht mehr auf den Inhalt ankommt.
Im Sinne der Inszenierung wird auch schauspielerisch Kindertümelei betrieben. Kinder werden nicht ernst genommen, man biedert sich an. Die Darsteller haben keinen Raum, um Atmosphäre herzustellen. Die auferlegte Künstlichkeit erstickt das Spiel. Eine Ausnahme macht Angelika Thomas, die als geschäftige Mutter ebenso überzeugt wie als Nachtfee. Die Fee bringt Zauber in Kunst und Künstlichkeit, erinnert daran, worum es eigentlich geht: um Träume, um waschechte Märchen. Aber da sind Geschwister und Käfertier schon wieder auf der Erde. Und wir auch.
Katja Fiedler
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