: Hier wird Kultur zum Zahnersatz
■ Trendflash Bremen: Der Videokanal Viva sucht jetzt auch in Bremen „junge Talente“
Niemand hat sich in Deutschland verdienter darum gemacht, Kultur zu Zahnersatz zu verarbeiten und die totale Unterhaltungsgesellschaft einzuleiten wie der Kölner Videokanal Viva. Viva-Chef Dieter Gorny & Co glauben treu an nationales Liedgut wie andere Intendanten an die große Samstag Abend-Show mit Frack und zotigen Herrenwitzen.
Viva gehört der specknackigen Industrie einer Wachstums-Branche, die darin ihre Werbespots plaziert. Alte weiße Männer, trotzdem hilflos bemüht das Image einer tumben Werbemaschine loszuwerden. In Kooperation mit drittklassigen Ministern und Vertretern der Schwerindustrie verfolgen sie eine jugendliche Zielgruppe, die ihnen die Existenz sichern soll. Zusammen mit Pop-Idol Gerhard Schröder und einer Wolfsburger Autofirma wurde z.B. die „Sound Foundation“gegründet, um „jungen Rock-Talenten auf die Sprünge zu helfen“und sich bei dieser Gelegenheit mittels „Bereitstellung von Organisations-Fahrzeugen und Besucher-Shuttles“und „Beratung von Nachwuchskünstlern“einzukaufen.
Die arrogante Unterteilung in Amateur- und Rentner-Liga ist das eigentliche Problem der deutschen Pop-Kultur. Der Musikindustrie geht es nämlich alles andere als gut. Die Mega-Open Airs des Sommers endeten fast alle mit einem Konkurs der Veranstalter, verkaufte Stückzahlen bei CDs sinken unaufhaltsam, am vielgehegten Internet verdienen andere und außer Rammstein und Sabrina konnte keine neue Größe in die Charts gehoben werden.
Unabhängige Labels laufen lachend in kleinen Kreisen zwischen den Beinen der schwankenden Rocksaurier herum und erfinden jeden Tag einen neuen Sound.
Viva hat deshalb dieses Jahr Lokalbüros in Bremen, Hannover, Stuttgart und Berlin eröffnet, um sich den Nachschub an der Quelle zu sichern. Präsentiert von besagter „Sound Foundation“öffnet jetzt die Sendung „Overdrive“ein kleines Fenster für den „Nachwuchs“. Daneben gibt es mit „Trendflash“ein neues kurzes Sende-Format, welches mehrmals wöchentlich in andere Sendungen integriert wird.
In der Woche vom 1. bis 5. Dezember präsentiert „Trendflash“(!) die Bremer Hip Hop-Legende Zentrifugal, deren MC und Slam Poet Bastian B. unter anderem vom Goethe-Institut ausgezeichnet wurde und sich in den finstersten Kellern der militanten Avantgarde herumtreibt. Seit 1993 steht das Duo mit trippigen Tönen auf internationalen Bühnen und war maßgeblich an den jüngsten Entwicklungen der Hip Hop-Szene beteiligt.
In dieser Woche rückte ein Kamerateam inclusive Viva-Praktikantin aus Hannover an und machte eine Homestory mit Bastian und DJ und Loris Negro. Erster Drehort war das Hauptquartier der Bremer Swinger-Szene, das Studio von Vicente „Don“Celi am Rande des Industriehafens.
Visuell gibt Musik nicht mehr viel her und entsprechend schnell wurde das leidenschaftliche Drehen an Mischpult und Plattenteller abgedreht. Zentrifugal spielten mit und taten so, als würden sie ihren aktuellen Hit „Nachtfahrt“gerade erst aufnehmen. Danach wurden die obligatorischen Bilder mit den Stadtmusikanten eingefangen. Bastian schleppte extra seinen Plattenrucksack mit, um der Szenerie zumindest noch ein wenig Hip Hop-Flair zu vermitteln.
Nächster Termin war das Interview auf Nachtfahrt mit einer Straßenbahn im 70er-Design vom Neustädter Depot über den Flughafen nach Sebaldsbrück.
Der Drehtag wurde stilgerecht mit einem spontanen Auftritt im „Heartbreak Hotel“und alkoholischen Getränken beendet.
Angesetzt war der Termin von Andreas Schneider, Bremens Viva-Botschafter und, als altes Mitglied der Schwarz-Weiß-Mafia, ein intimer Kenner der lokalen Szene-Familie. Diese krakeelte später zum Teil mal wieder an der Bar herum und plante eigene Talkshows für Rapper.
Andreas Schneider ist sich im klaren über die Differenzen seines Undergound-Umfeldes und dem, was den Multimedia-Experten in Köln inhaltlich zuzumuten ist, aber der Mann macht seinen Job, denn später konnte er noch A.S.E.-Sänger H-No für das Bandbus-Sponsoring der „VW Sound Foundation“gewinnen. „Bei unserer Unfallqoute ein gutes Geschäft“freute sich der berüchtigte Bandbus-Bruchpilot.
Bands aus Bremen und Umland werden aufgefordert Andreas Schneider weiter mit Anfragen, Infos, Tapes und CDs einzudecken oder direkt unter Stefan Ernsting
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