: Sind so blaue Bärte
„Blaubart – Hoffnung der Frauen“: Dea Lohers und Andreas Kriegenburgs Frauenmord- Variation ohne Thema wurde im Münchner Residenztheater uraufgeführt ■ Von Petra Kohse
Gute Zeiten, schlechte Zeiten: Seit der Serienmörder von den Rändern der Gesellschaft in die Mitte vorgerückt ist und nicht mehr als schaurige Ausnahme, sondern als hinzunehmender Ernstfall verhandelt werden muß, erlebt diese Figur in Film und Funk zwar einen enormen Auftrieb, hat an Dramatik aber deutlich eingebüßt. War Jack the Ripper noch eine abendfüllende Gruselnummer, steckt man heute selbst Reportagen aus Belgien locker weg und nähme einen Blaubart in der Eile gar nicht wahr.
Das ist natürlich nicht schön für den Mythos. Jahrhundertelang wurde der Frauenmörder in aufwendige Deutungen gewandet durch die Kunstgenres gereicht, und plötzlich guckt niemand mehr hin. Insofern könnte es auch als pragmatischer Akt des Mitleids durchgehen, daß sich die Dramatikerin Dea Loher die Figur zur Brust genommen hat, um ihr – form follows function – den schlotternden Anzug gründlich zu kürzen. Vielleicht aber wollte Loher auch bloß gerne mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg zusammenarbeiten und ersann einen Kümmerling, um sich dessen Angestelltenwelten zu empfehlen.
Auf jeden Fall wurde am Mittwoch auf der Bühne des Münchner Residenztheaters ein Loherscher Blaubart Kriegenburgscher Prägung vorgezeigt, der so winzig ist, daß man gleich zwei von ihm braucht, um ihn überhaupt zu sehen. Heinrich, der Ritter, in nur noch traurigerer Gestalt: „ein vollkommen mittelmäßiger, eher unsportlicher Schuhverkäufer“, von Timo Dierkes und Oliver Stokowski entsprechend blaß, geradezu abwesend gespielt. „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ heißt das Projekt, zu dem Loher bei laufender Inszenierung den Text verfaßte. Tagsüber wurde nach Skizzen probiert, abends das Ergebnis fixiert: learning by doing, ein Highway zum Autorentheater, kein Königsweg. Denn daß die beteiligten Schauspieler die Rollen auf den Leib geschrieben bekamen und der Regisseur paßgerecht mit Lieblingsszenarien versorgt wurde, führte zu einer ans Phlegma grenzenden Bequemlichkeit.
Wobei vielleicht auch die Passivität der Hauptfigur infizierend wirkte. Blaubart nämlich ist hier nicht eigentlich ein Mörder. Eher tötet er aus Mitleid die Frauen, die ihn zu lieben beginnen, weil sich – fatale Initiation! – die erste, die ihn liebte, nach wenigen Minuten umgebracht hat, aus Liebe zu ihm. Zumindest glaubt Blaubart das in Kriegenburgs Inszenierung, die hier eine Winzigkeit in Lohers Text ignoriert. Denn der Farcengehalt, der darin liegt, daß besagte Julia vor der Blitzheirat mit Blaubart noch kurz anmerkt, „unheilbar krank“ zu sein, sie ihn also vielleicht bloß als Staffage für einen geplanten Selbstmord benutzt, bleibt in München außer acht.
Statt ein Geck ist Blaubart also der Galan der Gosse. Einer, der für die latent selbstmörderischen Frauen die Drecksarbeit macht, wobei er von Szene zu Szene mehr verwahrlost und am Ende das Messer kaum noch halten kann, das er gleichwohl tapfer führt. Ein Opfer und Jammerlappen, zu kraftlos selbst, um zynisch zu sein. Wodurch es ironischerweise – sind so blaue Bärte – wenigstens mit Muttergefühlen erklärt werden kann, daß sich die Schauspielerinnen (deren Vornamen auch die ihrer Figuren sind und die alle Möglichkeit der Beteiligung hatten) nicht dagegen gewehrt haben, als Nutte, Hausfrau oder spätes Mädchen die Schmalspurprojektion einer immer gleichen Frauensehnsucht vorzutanzen. Als würde sich das Bedürfnis nach dem starken Mann durch die Aussicht befrieden lassen, in den Armen eines schwachen zu sterben.
Eine Variation ohne Thema also, aber zur schön-melancholischen Akkordeon- und Klaviermusik von Laurent Simonetti und in der gelungenen Trostlosigkeit von Susanne Schuboths von Stahlpfeilern begrenzter Tunnelwelt stimmt Kriegenburg eine seiner Kleineleuteballaden an. Frauen tragen Hängerchen und Schnürstiefel, kugeln formschön auf dem Boden herum und werden an die Wand geknallt, die Windmaschine bläst Papiertüten herein, und nach jedem Mord zieht Blaubart der Toten die Schuhe aus. Sich an der Dürre des Stoffes abarbeitend, wirkt Kriegenburgs sonst mitreißend poetische Bühnensprache erschreckend hohl, was einen stumpf und traurig macht.
Zwischen die Episodenszenen mit Blaubart 1 und den sechs Frauen, die sich umbringen lassen, schaltet Kriegenburg Szenen mit Blaubart 2 und der siebten Frau, die sich nicht umbringen läßt. Bei prinzipiell psychologiefreier Behandlung des Stoffes wird Blaubart analysekompatibel aufgespalten, wobei Timo Dierkes als bäriger Blaubart 2 meist dümmlich in einer Ecke steht, wenn Oliver Stokowski als Blaubart 1 mit ängstlich hochgezogenen Schultern tut, was man ihn geheißen hat. Die siebte Frau ist Natali Seelig, und bei Dea Loher heißt sie „Die Blinde“. Wohl, weil sie Blaubart als einzige so sieht, wie er ist. Die Behinderung hat man Seelig aber vielleicht auch deswegen beigegeben, damit ihre Persönlichkeit nicht die Grenzen des Restensembles sprengt. Denn Natali Seelig versucht als einzige, Geschichte in den Stoff zu pumpen. Etwas ungeschickt in ein blaues Wollkleid gemummelt und barfuß dem Einfluß des Schuhverkäufers auch optisch entzogen, spielt sie mal den Clown, mal, das Publikum direkt ansprechend, eine verprügelte Ehefrau, mal ein Kind, mal einen Kobold.
Das ist zuweilen allzu gewollt und doof, dann aber wieder ziemlich gut, und wenn Natali Seelig mit nach vorne ausgestreckten Beinen bei Blaubart 2 auf dem Lenkrad sitzt und Akkordeon spielt, während beide Blaubart 1 umkreisen, der wodkaselig auf dem Kontrabaß geigt, dann immerhin kommt eine Zirkusstimmung auf, an die man sich zwischen all den vorangehenden und nachfolgenden Sägespanepisoden dankbar erinnert.
Erst nach weit mehr als drei Stunden übrigens wird entdeckt, daß hinter Blaubarts geheimer Türe – surprise, surprise! – das Nichts wohnt. Als aber wenigstens dann alles zu Ende sein müßte, hebt Blaubart noch langwierig zu klagen an, daß „es nicht aufhört“. Und nur ein einziger Zuschauer kichert. Offenbar hält der Münchner diese kunsthandwerkliche Ausnahme in der Arbeit von Kriegenburg als hinzunehmenden Ernstfall von Staatstheater. Und womöglich war es das sogar. Schlechte Zeiten, abendfüllender Grusel.
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