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Jugendgewalt: Kein Grund zur Panikmache

■ Jugendgewalt und Jugendkriminalität in Kreuzberg: Bewaffnung unter Jugendlichen steigt, aber nur 100 Jugendliche sind dauerhaft kriminell, hat das Bezirksamt Kreuzberg festgestellt

„Es gibt keinen Grund zur Hysterie, aber durchaus beunruhigende Tatbestände.“ So lautet das Fazit der Kreuzberger Jugendstadträtin Hannelore May über eine große Anfrage der SPD zum Thema Jugendgewalt und Jugendkriminalität in Kreuzberg. Darin sind erstmalig Zahlen und Fakten gebündelt, die SozialarbeiterInnen, die Jugendgerichtshilfe, soziale Dienste und Schulen zusammengestellt haben.

Nach Angaben von May sei deutlich geworden, daß die Quote der straffällig gewordenen Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren „wesentlich höher“ sei als im Berliner Durchschnitt. Insbesondere Raub und Erpressung, das vom „Jackenabziehen“ bis zu Überfällen reicht, sei in den vergangenen fünf Jahren über 100 Prozent gestiegen. 1996 gab es 161 Anklagen wegen Raub und Erpressung.

Gewaltdelikte begingen laut May fast ausschließlich männliche Jugendliche nichtdeutscher Herkunft. Rund 70 Prozent der strafauffälligen Jugendlichen, die der Jugendhilfe bekanntgeworden sind, hätten keinen Hauptschulabschluß und lebten meist noch im elterlichen Haushalt. May betonte, daß die Bedeutung von Gangs mit festen Gruppenstrukturen ständig abnehme. Jedoch würden fast alle Körperverletzungen und Raubtaten in sporadisch gebildeten Gruppen begangen.

Doch die von den Grünen vorgelegten Zahlen mildern die Dramatik: Die Jugendstadträtin geht nämlich davon aus, daß nur rund 100 Jugendliche in Kreuzberg dauerhaft gewalttätig und kriminell seien. Sie agierten insbesondere im Wrangel-Kiez, in der Bergmannstraße und rund um die Villa Kreuzberg. Mehr Sorgen macht May sich deshalb auch um die ansteigende Bewaffnung: „Immer mehr Jugendliche legen sich Gaspistolen, Schlagringe oder Messer zu.“ Auch bei unter 14jährigen sei dies verstärkt zu beobachten.

Sie wies auch darauf hin, daß Körperverletzungsverfahren sehr differenziert betrachtet werden müssen, „um nicht von der Welle der Panikmache mitgerissen zu werden“. Tatsache sei zwar, daß mehr Anklagen wegen Körperverletzung erhoben (sie machten 1996 15,7 Prozent aller Straftaten in Kreuzberg aus), aber auch 60 Prozent wieder eingestellt worden sind, da es sich beispielsweise um „Auseinandersetzungen auf dem Schulhof, Haareziehen zwischen Mädchen oder anderen körperlihen Auseinandersetzungen ohne schwere Folgen“ gehandelt habe.

Als Gegenmaßnahmen plant die grüne Stadträtin jetzt eine „Woche der Entwaffnung“ in den Schulen und Freizeitheimen. Dort will sie auch darauf dringen, daß Pflichten, wie der regelmäßige Schulbesuch, wieder stärker eingehalten werden.

Die Kreuzberger CDU fordert indes ein „Sicherheitsforum“ mit Vertretern des Bezirksamtes, der Polizei und der Projekte in dem über das Thema „Innere Sicherheit“ im Kiez beraten werden solle. Julia Naumann

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