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Vereint gegen grüne Koalitionskritiker

Sie wird den Linken, er den Realos zugerechnet. Doch beim Streit um den Braunkohleabbau ziehen die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn und Parteisprecher Reiner Priggen an einem Strang  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Bärbel Höhn geht in der kleinen Menschentraube am Rande der Rednertribüne fast unter. Gleich mehrere Personen versuchen, auf sie einzureden. Doch alle Drängelei hilft an diesem Sonntagmorgen beim grünen Parteitreffen im Essener Saalbau nichts. Die grüne Umweltministerin bleibt bei ihrem Kurs. Die sie bedrängenden Parteifreunde fest im Blick, signalisiert schon ihr grimmiger Gesichtsausdruck, daß ihr nicht danach der Sinn steht, sich – wie gewünscht – „von Reiner“ abtrennen zu lassen.

Gemeint ist Parteisprecher Reiner Priggen. Der sitzt oben auf der Bühne und beobachtet die Szene ohne jeden Anflug von Nervosität. Priggen weiß längst, daß der Versuch von Teilen der Parteilinken, Höhns Zustimmung zu einem brisanten Garzweiler-Antrag zu gewinnen, scheitern wird. Zwischen dem 44jährigen Kopf der nordrhein-westfälischen „Realos“ und der herausragenden Leitfigur im Lager der bündnisgrünen „Regierungslinken“ stimmt nicht nur die Chemie.

In Sachen Garzweiler agieren die beiden intimen Kenner des Braunkohleprojektes seit langem Hand in Hand. Ein machtbewußtes grünes „Doppelpack“, das nun im Auftrag der Partei in Verhandlungen mit der SPD den Ausweg aus der Dauerkrise um den umstrittenen Braunkohletagebau finden soll.

Dabei sind Höhn und Priggen nicht nur als Fachleute gefragt. Noch wichtiger ist ihr parteiinternes „standing“. Beide verkörpern wie sonst niemand ihre jeweiligen Strömungen in der Partei. Ziehen sie auf Parteitagen an einem Strick, ist eine Mehrheit in der Regel sicher. Ob das Muster auch bei dem schwierigsten Problem der nordrhein-westfälischen rot-grünen Konfliktkoalition funktionieren wird, steht indessen dahin. Denn manche Realos und viele Linke wollen bei dem Braunkohleprojekt auf anderem Kurs segeln als das Duo auf der Brücke.

Eine erste Kraftprobe beim Essener grünen Parteirat, dem höchsten Gremium zwischen den Parteitagen, verlief für die beiden noch wunschgemäß. Mit vereinten Kräften wurde dabei der Antrag der Koalitionskritiker verhindert, den jetzt vor dem Abschluß stehenden Prozeß zur Genehmigung des Rahmenbetriebsplans solange „auszusetzen“, bis die „grundlegende Überprüfung“ der energiewirtschaftlichen Notwendigkeit des Garzweiler-II-Projektes erfolgt sei.

Mit klar verteilten Rollen kam das Duo dabei zum Ziel. Während Priggen die Antragsteller hart anging und ihnen vorwarf, mit dem Junktim jegliche Lösung zu verbauen und ganz „andere Interessen“ zu verfolgen, spielte Höhn, die über ein feines Gespür für parteiinterne Stimmungen verfügt, den moderateren Part. Auch sie sähe es lieber, so rief sie den Delegierten in lautstarkem Ton zu, „die energiewirtschaftlichen Fragen vorher zu überprüfen, aber wir haben keinen Anspruch darauf“. Weil der Antrag darauf hinauslaufe, „uns in Zugzwang zu bringen“, sei er unakzeptabel. Schon der Beifall zeigte, daß das Papier nach dieser Intervention reif für den Papierkorb war.

Doch die nächsten Klippen zu nehmen, wird den beiden grünen Schlüsselfiguren gewiß ungleich schwerer fallen. Im Kern geht es darum, eine Lösung zu finden, die beiden Regierungspartnern das Gesicht wahren läßt, ohne in den gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungsprozeß willkürlich – und damit rechtswidrig – einzugreifen.

Bei der politischen Ausgangslage – SPD für Garzweiler II, die Grünen dagegen – kommt diese Aufgabe einem gefährlichen Drahtseilakt gleich. Von Seiten des sozialdemokratischen Verhandlungsführers Wolfgang Clement kommen zwar atmosphärische Entspannungssignale, aber in der Sache tut sich noch nicht viel.

Doch die Tonlage ändert sich. Vor allem zwischen Höhn und Clement. Beide gehen inzwischen auch im Kabinett ausgesprochen höflich miteinander um. Von einigen öffentlichen Angriffen der Umweltministerin fühlte sich Clement zu Beginn der Koalition auch persönlich zutiefst verletzt. In Clement sieht sie heute einen „fairen Verhandlungspartner, und ich glaube, daß er diesen Eindruck auch von mir hat“.

Während der Koalitionsverhandlungen im Sommer 1995 hatte auch Priggen Clement als SPD- Unterhändler schätzen gelernt und ihn sogar zum „Architekten“ des Bündnisses geadelt. Seit Regierungsbeginn änderte sich das Bild. Danach wähnten auch wohlwollende Grüne den „Architekten“ zeitweise auf dem Weg zum „Sprengmeister“. Jetzt hoffen sie, daß die Zeit der „Sprunghaftigkeit“ des potentiellen Rau-Nachfolgers zu Ende ist.

Daß bei einem Scheitern der rotgrünen Koalition in Düsseldorf auch die rotgrüne Perspektive für Bonn erheblich Schaden nähme, wissen alle Beteiligten. Einen gewissen „Bammel“ räumt Priggen angesichts dieser Lage ein, „doch ich wache nachts nicht schweißgebadet auf“. Auch Höhn verspürt den Druck, aber zumindest nach außen gibt sie sich frohgemut, ihn zu bewältigen. Wie das Ringen ausgeht, wagen beide nicht zu prognostizieren.

Insgesamt, so sagt der Parteisprecher, sei er immer noch „skeptisch“, obwohl auf „beiden Seiten das Interesse zu spüren ist, die Sache positiv zu beenden“. Zu den Gesprächen kommt von beiden inhaltlich kein Wort. Nur soviel: „Gut und fundiert“ gehe es dabei zu. Wie die Chancen stehen? „Fifty-fifty“, antwortet Bärbel Höhn.

Daß die diplomierte Mathematikerin und der praxiserprobte Maschinenbauingenieur dem Auftrag gewachsen sind, zieht bei den Düsseldorfer Politakteuren niemand in Zweifel. In ihrem Amt sei die zu Oppositionszeiten auch intern höchst umstrittene Politikerin „deutlich gewachsen“. Das räumen selbst ihre innerparteilichen Gegner ein. Die Übernahme des zuvor zehn Jahre lang vom SPD- Hardliner Klaus Matthiesen geführten Ministeriums verlangte ihr einiges ab. Nach anfänglichen Reibereien mit Matthiesens Gefolgsleuten unter den 400 Bediensteten ziehen die meisten inzwischen mit ihrer Chefin, die am liebsten in Jeans und Jakett im Haus erscheint, an einem Strang. Daß „manchmal Informationen aus dem Haus immer noch eher bei der SPD-Fraktion landen“ als bei ihr, „ärgert“ sie zwar. Insgesamt aber ist sie vom Engagement ihrer Leute, „das bei vielen weit über die Dienstpflichten hinaus reicht, begeistert“.

Unstrittig ist, daß Höhn während der vergangenen zweieinhalb Jahre neue Zeichen im Amt zu setzen wußte. Auf dem Feld der Müllentsorgungspolitik ebenso wie bei der Umsetzung einer ökologisch orientierten Wasserwirtschaft. Punkt für Punkt Probleme abzuarbeiten, fällt ihr wesentlich leichter, als konzeptionell zu glänzen. In Grundsatzdebatten, etwa über den zukünftigen Stellenwert der Umweltpolitik in einer sich rasant verändernden Welt, mischt sie sich so gut wie nie ein. Als gleichzeitig für die Landwirtschaft zuständige Ministerin profilierte sie sich dagegen auch in Sachen Verbraucherschutz – etwa im Zusammenhang mit dem BSE-Skandal. Zustimmung erfuhr darüber hinaus ihr Engament für den ökologischen Landbau, für bäuerliche Familienbetriebe und regionale Erzeugergemeinschaften. Von einem „Erdrutsch auf dem Lande“, sprechen etwa Ulrike und Friedrich Ostendorff, die östlich von Dortmund einen ökologisch ausgerichteten Bauernhof betreiben: „Wohl kein Ereignis in der 50jährigen Geschichte von NRW“ habe „so viel Bewegung in die verkrusteten Strukturen auf dem Land gebracht“, wie die Amtsübernahme von Höhn. Weil die so gelobte inzwischen „die praktische Umsetzung von politischen Konzepten“ höher wertet als die Pflege des reinen oppositionellen Gewissens, wird sie alles versuchen, den Bruch zu vermeiden. Nur faul darf der Garzweiler- Kompromiß nicht ausfallen. Dann ist für Höhn ebenso Schluß wie für Priggen. Von Anfang an zählte Priggen zu den engagiertesten Befürwortern der Düsseldorfer Koalition. Die bisherige Bilanz hält er auch im Vergleich zu anderen rot- grünen Koalitionen „für durchaus sehenswert“. Viele „Erfolge“ seien zwar durch die Streitereien über einzelne Projekte untergegangen, „doch es hat sich gelohnt, und es ist richtig, die Koalition weiterzuführen“, glaubt Priggen. Allerdings sei der jetzige Konflikt um Garzweiler II von „einer anderen Größenordnung“. Für die Grünen sei es unabdingbar, daß die energiepolitischen und klimarelevanten Veränderungen der letzten Jahre auch in bezug auf Garzweiler II zu „Konsequenzen führen“. Wenn „sich die SPD dem verweigert, dann wird die Koalition mit den Grünen nicht weitergehen können“. Nach der Opposition verspürt Priggen zwar kein Verlangen, denn er weiß als Landesvorsitzender, daß die Partei seit der Kommunalwahl 1994 und der anschließenden Landtagswahl „regelrecht aufgeblüht ist“. Außer im Land mischen die Grünen seither auch in über 100 Städten und Gemeinden kräftig mit – zumeist in rot-grünen Koalitionen. Doch, so fügt er zugleich in Richtung SPD hinzu, „man kann auch in der Opposition leben“.

In Aachen hat Priggen schon Anfang der 90er Jahre als Sprecher des grünen Kreisverbandes an einem der ersten rot-grünen kommunalen Bündnisse mitgestrickt. Zusammen mit seiner Frau Gisela Nacken, die als Sprecherin der Landtagsfraktion im Duo mit dem „Regierungslinken“ Roland Appell ähnlich agiert wie Priggen im Zusammenspiel mit Höhn.

In Aachen steht dem Maschinenbauingenieur demnächst eine weitere schwere Prüfung bevor. Als „Bühnenbüttel“ muß er bei der heißgeliebten „Stunk“-Sitzung dafür sorgen, daß bei den alternativen Jecken karnevalistisch alles glatt abgeht.

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