Tschechien: Premierminister gestürzt

■ Folgt eine Neuordnung des politischen Systems?

Da stand er also. Ein erfolgreicher junger Politiker – und forderte vor laufenden Kameras den Kopf des Mannes, der ihm seinen Erfolg ermöglicht hatte. Es war so, als würde Angela Merkel Helmut Kohl stürzen. Die „jungen Wilden“ der CDU hätten sich an Finanzminister Ivan Pilip ein Beispiel nehmen können. Aber auch diejenigen, die für Václav Klaus nie besondere Sympathie verspürt hatten, fragten sich überrascht, wie der einst als einer der besten Wirtschaftsreformer Osteuropas gefeierte Premier innerhalb weniger Stunden vom Thron gestoßen werden konnte?

Die Agonie der Ära Klaus hat nicht erst in dieser Woche begonnen. Der Premierminister war unfähig, für die sich ständig ausdifferenzierende Gesellschaft ein einigendes Band zu finden. Wer schnell reich wird, ist korrupt, das hatten die Tschechen mit ihrer egalistischen hussitischen Tradition schon immer gewußt. Daß man auch legal Geld verdienen kann, diese Überzeugung hat Klaus versucht wiederzubeleben. Vergeblich. Die Korruption nahm riesige Ausmaße an, die wirtschaftliche und die politische Klasse sind heute aufs engste miteinander verbunden. Der Korruption einen Riegel vorzuschieben war immer die wichtigste Forderung der Klaus-Gegner. Die 7,5-Millionen-Kronen-Spende für seine Partei war nicht die Ursache des Sturzes des Premiers, sondern nur der willkommene Anlaß.

Das Risiko, das die „Parteiputschisten“ eingingen, ist hoch. Gelingt es ihnen nicht, die bisherigen Anhänger von Klaus hinter sich zu bringen, droht eine Spaltung der ODS. Damit verlöre auch die Regierung ihre Basis. Da zugleich auch die zweite konservative Regierungspartei, die ODA, vor der Spaltung steht, könnte sich das politische System des Landes neu ordnen. Entstehen würde eine liberal-konservative Partei, ohne die fundamentalistisch-neoliberalen „Klausisten“. Entstehen würde eine Partei, die die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft nicht länger ablehnt, und der eine Zusammenarbeit mit der Christlich-Sozialen KDU-CSL und den Sozialdemokraten leichter fallen würde. Die immer noch nicht abgeschlossene Umstrukturierung des wirtschaftlichen Systems könnte auf eine breitere Basis gestellt werden. Dies entspräche ganz den Vorstellungen des stets auf gesellschaftlichen Ausgleich bedachten Václav Havel. Vielleicht ist es gerade der Präsident, der durch den Sturz des Ministerpräsidenten am meisten profitiert. Sabine Herre