Tod zieht durch die Wallanlagen

■ Peter Kaempfe liest heute Texte des Bremer Autors F. Lampe

Erschossen zu werden, ist nicht schön. Aber am 2. Mai 1945 , also sechs Tage vor der deutschen Kapitulation, erschossen zu werden, ist eine Frechheit. Friedo Lampe, als Homosexueller ständig gefährdet – und einmal auch verpfiffen, als Schriftsteller kalt gemacht, als Beinlahmer zwar nie an der Front verheizt, aber unter dem Damoklesschwert bibbernd, doch noch eingezogen zu werden, und im November 1943 obendrein komplett ausgebombt, war beim Anmarsch der Russen auf Berlin endgültig mit den Nerven fertig. Der notorische Schilderer von Einzelgängern und Ausgeschlossenen, weigerte sich, mit einem Flüchtlingstreck zu fliehen, sich in der Masse zu verlieren. Lieber schlug er sich einsam auf Waldwegen durch. Da stieß der Zweimeter-Arier auf Rotarmisten, die hielten ihn wohl für einen SS-Mann und töteten! Und wieder hat es den falschen Mann zur falschen Zeit erwischt.

Der Mythos von der Stunde Null, dem radikalen Neuanfang der deutschen Literatur nach Kriegsende, trübte jedes Interesse an allem Davor. Egal, ob Dichter, Musiker, Maler: viele Verfemte des Dritten Reichs wurden nach dem Krieg ein zweites Mal bestraft – durch Ignoranz. Jetzt setzt sich der Ex-Shakespeare-Companiero und TAB-Schauspieler Peter Kaempfe für den Autor aus dem Umkreis der Neuen Sachlichkeit ein.

Wie so viele andere Schriftsteller in Nachfolge des Expressionismus vertieft sich Lampes Prosawerk nicht mehr in das große, chronologisch erzählte Einzelschicksal. Leben ist keine kausale Abfolge, sondern ein Gewebe, Gewusel und Patchwork verschiedenster Lebensstränge, natürlich nicht ohne die obligatorischen Prostituierten, Boxer, Matrosen und unverstandenen jungen Intellektuellen. Und meistens kommt es noch leichter zu einer Verknotung dieser Biographien als zu einer Annäherung. Wenn Lampe zwei Nighthawks miteinander durch den Park spazieren schickt, sprechen läßt, dann drängt sich Einsamkeit ganz besonders auf. „Am Rande der Nacht“(1933) blendet sich impressionistisch in Dutzende von Schicksalen ein. Vom aristotelischen Ideal bleibt nur noch die Einheit von Ort und Zeit: ein Abend in Bremen, zwischen 20 und 24 Uhr. So verschieden die Herkunft und Geschichte des Personals, so ähnlich seine Zukunft: leer. Ohne großes Bemühen um Kunstfertigkeit, läßt Lampe seine Loser sich verbal am Leben vergehen. „Es schien mir alles so aussichtslos“, heißt es auf der letzten Seite seines Bremen-Nocturnes. „Es ist ja doch alles einerlei.“Und als ob keine mögliche Formulierung für ein und denselben Zustand unterschlagen werden dürfte: „Ob ich nun hier bin oder anderswo – es wäre ja doch immer dasselbe gewesen.“Im Ausdruck von Lethargie und Verlorenheit beweisen Lampes Personen doch noch ein gewisses Restengagement.

Das literarische Niveau eines Musils, Döblins oder gar Benns erreicht Lampe nicht. Als Zeitdokumente sind seine Texte unschätzbar. Das zeitgeistige Leiden der Weimarer Republik an der vermeintlichen Banalität der Welt sucht – fast ein wenig in später Nietzsche- und Hölderlinnachfolge – nach Tröstung in kitschig-pathetischen Szenerien aus Geschichte und griechischem Mythos. Hier tummeln sich Helden, in der Realität nur jede Menge Krankheit, - viel Tod.

Für alle Bremer wird es ein Abenteuer sein, sich einen Kiosk unter der Weserbrücke oder die Wallanlagen vorzustellen im Dunst eines diametral anderen gesellschaftlichen Klimas: das Spiegeln des Wassers, das Gleiten eines Kahns, das Vorbeihuschen der Ratten und die Majestät der Schwäne in noblem Schwarz-Weiß. bk

heute im Ostertorbuchladen 20h, am 18.12. im Haus am Park,