Der Terrorist und sein Jäger

■ Dorothea Hausers Buch „Baader und Herold“ ist keine Beschreibung eines Zweikampfes, es schildert vielmehr zwei deutsche Nachkriegs-Biographien, die sich noch nicht einmal kreuzen

Berlin (taz) – Ein wenig übertrieben hat er schon, der Alexander Fest Verlag, der seiner Autorin Dorothea Hauser im Klappentext mitgibt: „Unser Bild von jenen Jahren wird sich durch dieses Buch grundlegend ändern.“ Jene Jahre, das ist die Zeit des Deutschen Herbstes, des deutschen Terrorismus, des Kampfes der sechs gegen die sechzig Millionen, wie es einst der Schriftsteller Heinrich Böll nannte. RAF und Deutscher Herbst, dieser Komplex wird anläßlich des 20. Jahrestages der Schleyer-Entführung wieder Gegenstand der diversen Aufarbeitungs- und Vergangenheitsbewältigungs-Bücher und -Filme. Dorothea Hauser hat versucht, diese Zeit anhand zweier Porträts nachzuzeichnen. Am Beispiel des RAF-Mitbegründers Andreas Baader und des RAF-Bekämpfers Horst Herold, damals Präsident des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden. Daher auch der Titel „Baader und Herold – Beschreibung eines Kampfes“.

Herolds Werdegang beschreibt Hauser ziemlich ausführlich. Unter anderem urteilt sie, Herold habe manches Mal die Stunde verflucht, als er zur Polizei gegangen ist. Der politisch höchst eigensinnige und kritische Terroristenjäger habe sich in seiner unbedingten Verpflichtung zu einem Staat, der ihm selbst reformbedürftig schien, „oft fürchterlich zerrissen gefühlt“. Das Buch hat seine Stärken dort, wo es biographisch den Weg beider in die tödliche Konfrontation beschreibt, die im Herbst 1997 mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer ihren Höhepunkt findet und die die Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik nachhaltig geprägt hat. Es ist allerdings keine Beschreibung eines Kampfes zwischen den beiden, wie der Titel suggeriert. Es sind getrennte Stränge, die sich auch am Ende des Buches nicht überschneiden. Auch lautet der letzte Satz des Buches lapidar: „Andreas Baader und Horst Herold sind einander nie persönlich begegnet.“

Daß sich die beiden Stränge am Ende nicht kreuzen, müßte kein Schaden sein. Schwierig ist aber doch die ungleiche Gewichtung beider Personen. So präzise der Weg des Horst Herold nachgezeichnet wird, so klischeehaft bliebt der des Andreas Baader. Nach dessen Tod im Herbst 1977 konnte sich Dorothea Hauser schließlich auch nur auf sekundäre Quellen stützen – ein Mangel, der sich hinter forschen Formulierungen versteckt. Baader, schreibt die Autorin zum Beispiel, habe im Herbst 1977 mit seinen 34 Jahren „noch immer“ gut ausgesehen, „in der RAF hat er seine Bestimmung und Erfüllung gefunden“. Bis zehn Jahre zuvor sei er allein gewesen, mit seiner Angst, seiner Scham, seinem Haß, seiner inneren Leere, seiner Suche nach – Identität. Kein Wort habe er häufiger benutzt, dann aber habe er 1967 entdeckt, „daß seine Desorientierung im Lebensgefühl einer ganzen Generation artikuliert und in politische Begriffe umgegossen wurde“. Da hat Hauser wohl doch ein bißchen arg dick aufgetragen.

Auch mancher anderen These der Autorin werden die Leserin und der Leser kaum folgen wollen. Zum Beispiel der von der Katharsis. Hauser schreibt, es spreche einiges dafür, „daß der sogenannte Deutsche Herbst die Katharsis geworden ist, die 1945 ausgeblieben ist und ausbleiben mußte, wenn es mit diesen Deutschen irgendwie weitergehen sollte. Erst nach dem Opfertod Hanns Martin Schleyers [gemeint ist seine Ermordung durch die RAF] und der Kapitulation Andreas Baaders [gemeint ist sein Selbstmord in der Haftanstalt von Stuttgart-Stammheim] ist das Vergangenheitsargument als politische Waffe gegen die Legitimität der demokratischen staatlichen Ordnung stumpf geworden. Hernach konnte der nationalsozialistischen Gewaltvergangenheit über die Generationsschranken hinweg in einer neuen Schuldkultur begegnet werden. Der ehemalige SS- Mann Schleyer, für viele Inbegriff der Restauration, erlangte in den 44 Tagen seiner Gefangenschaft ein menschliches Antlitz und eine Würde, die bis heute betroffen macht. Als das erstmals deutlich wurde, mußte eine nachgeborene Generation erkennen, daß sie über ihrem Erziehungsprogramm für die Massen den Eltern Lern- und Leidensfähigkeit abgesprochen hatte.“ Und weiter: „Der ,Deutsche Herbst‘ war als Katharsis nicht nur ein Schlußpunkt; als blutiger Reflex auf das deutsche Trauma hat der gleichsam symbolische Endkampf allemal das Zeug zum staatlichen Gründungsmythos: In ihm wurden der demokratische Staat und sein Gewaltmonopol im Bewußtsein der Bevölkerung zur Sache aller.“ Da stellt sich natürlich die Frage, warum die zentrale Paarung des Deutschen Herbstes nicht Baader und Schleyer lautet. Da drängt sich der Eindruck auf, daß sich die Autorin gründlich verstiegen hat.

Sieht man von dieser argumentativen Überspitzung einmal ab, das Buch bleibt lesenswert. Wie wenigen anderen gelingt es Dorothea Hauser, die Stimmungen der damaligen Zeit und die Motive der Handelnden aufzuzeigen. Wirklich Neues fördert Hauser nicht zu Tage, es wäre wohl auch ein wenig zuviel verlangt. Wolfgang Gast

Dorothea Hauser: „Baader und Herold, Beschreibung eines Kampfes“. Alexander Fest Verlag, 1997, 247 Seiten, 39,80 DM