piwik no script img

■ ProzeßDarf Fernsehen ein Pranger sein?

Mainz (epd) – Der Privatsender Sat.1 will vor Gericht erreichen, daß das Ausstrahlungsverbot für seinen Fernsehfilm über den Lebacher Soldatenmord aus dem Jahre 1969 aufgehoben wird. Vor dem Landgericht Mainz führte der Sender am Dienstag Beschwerde gegen eine einstweilige Verfügung, die einer der damaligen Haupttäter vor einem Jahr gegen die Ausstrahlung erwirkt hatte. Das Gericht will am 23. Dezember urteilen. In der Sache geht es um eine Abwägung von Persönlichkeitsrecht gegen Informationsfreiheit.

Der frühere Haupttäter, der zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde, macht geltend, eine medienwirksame Wiederaufrollung seines Falls gefährde sein Recht auf Resozialisierung. Er beruft sich dabei auf das Lebach-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1973. Das Gericht hatte damals dem ZDF verboten, an einen anderen Tatbeteiligten öffentlich zu erinnern. Das Fernsehen dürfe kein „moderner Pranger“ sein.

Sat.1 beruft sich auf die Rundfunkfreiheit. Es müsse erlaubt sein, an „Verbrechen, die Geschichte machten“ (so der Reihentitel des vergangenen Jahres) zu erinnern. Die Resozialisierung werde nicht gefährdet, weil die Täter im Film nicht bei ihren wirklichen Namen genannt würden.

Bei der mündlichen Verhandlung am Dienstag war zwischen den Parteien strittig, ob der rechtskräftig verurteilte Mörder überhaupt entlassen werden will. Vom Gnadengesuch nach 15 Jahren Haft hat er bislang keinen Gebrauch gemacht.

Die Vorsitzende Richterin machte jedoch deutlich, daß sie eine Entlassung von Amts wegen in zwei bis drei Jahren für möglich hält. Der Kläger habe gerade dann ein Interesse, daß seine frühere Tatbeteiligung „nicht wieder aufgewärmt wird“.

Die Chance, daß er nach Ausstrahlung des Sat.1-Films noch identifizierbar wäre, schätzt Sat.1- Anwalt Eckart Fuhr als „gleich null“ ein. Fuhr hatte schon 1973 das ZDF als dessen damaliger Justitiar vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Sat.1-Justitiar Peter Lück sagte, es könnte sein, daß „das Bundesverfassungsgericht nochmals über den Fall Lebach wird entscheiden müssen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen