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Der Rezzo Schlauch für Leipzig

Werner Schulz, bekanntester ostdeutscher Grüner in Bonn, möchte Leipziger Oberbürgermeister werden. Die Wahl im April 1998 als Wahlkampfauftakt für Bonn  ■ Aus Leipzig Robin Alexander

„Laßt uns einen Rezzo für Leipzig suchen!“ Die sächsischen Bündnisgrünen waren schwer beeindruckt: Stolze 39 Prozent hatte Rezzo Schlauch bei den Bürgermeisterwahlen in Stuttgart vor einem Jahr geholt. Jetzt soll der gleiche Coup im Osten gelingen: Werner Schulz wird im April 1998 für das Amt des Leipziger Oberbürgermeister kandidieren. Der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen soll als überregional bekannte Persönlichkeit ein eindrucksvolles Ergebnis in der Messestadt erreichen. „Die Leipziger Wahl ist eine zusätzliche Chance für uns in Ostdeutschland“, sagt Werner Schulz.

Neben der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ist die Direktwahl eines neuen Stadtvaters in Leipzig der einzige Urnengang in den neuen Ländern vor der Bundestagswahl 1998. Das Kalkül: Ein gutes Abschneiden von Werner Schulz wäre der richtige Startschuß für den Kampf um die Macht in Bonn. Dem hat sich auch in Leipzig alles unterzuordnen. Werner Schulz, der in Leipzig seinen Bundestagswahlkreis hat, wird auf einem Parteitag am 13. Dezember nominiert. Gegenkandidaten fehlen nicht zufällig. Eine „Findungskommission“ von Funktionären aus Landes- und Stadtvorstand hat den Kandidaten sorgsam ausgewählt. „Erstes Kriterium war der bundespolitische Gesamtzusammenhang“, erklärt Matthias Gräfe, Mitglied der Kommission.

Ob das auch die Leipziger einsehen? Bei einer schriftlichen Befragung der grünen Basis in Leipzig erhielt Schulz gerade einmal elf Stimmen mehr als der engagierte Lokalpolitiker Jochen Läßig. Der ließ daraufhin seine Ambitionen fahren. Viele Parteimitglieder hatten die Post der Findungskommission allerdings gar nicht beantwortet. Schulz will denn auch „notfalls mit jedem einzelnen Mitglied sprechen“.

Der Mitbegründer des Neuen Forums ist kein Unbekannter in Leipzig. Hier gelang ihm im Mai 1993 sein bisher größter Erfolg: die Vereinigung von Bündnis 90 mit den Westgrünen. Im von Flügelkämpfen zerrissenen sächsischen Landesverband ist der Realo allerdings umstritten. Nun muß der 47jährige Schulz seinen Bündnis- Freunden klarmachen, um was es geht: „Leipzig kann Modellcharakter haben. Hier können wir neue Wähler für eine Reformpolitik erreichen.“

Neue Wähler sind bitter nötig, ist Bündnis 90 in der Stadt der Montagsdemos doch nur noch viertstärkste Kraft. Die erste Oppositionsgeige spielt die PDS. Das soll sich bei der Direktwahl des Oberbürgermeisters ändern. „Für diese schwere Aufgabe werde ich meine Arbeit in Bonn einschränken“, erklärt Werner Schulz. Schon vor Monaten hat er in Leipzig eine Wohnung gemietet. Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion bleibt er aber. Schulz trifft auf starke Gegner. Hinrich Lehmann-Grube, der in den Ruhestand tretende Amtsinhaber, hat mit viel Geschick einen Kronprinzen aufgebaut: Wolfgang Tiefensee, ein Leipziger mit bürgerbewegter Vergangenheit und Amtsbonus als Dezernent für Jugend, Schule und Sport. Auch der Bewerber von der CDU kommt aus der Schule Lehmann-Grube: Peter Kaminski ist sein Stadtkämmerer. Gemeinsam hat die informelle große Koalition das Gesicht Leipzigs verändert. Weithin sichtbar war der Bau der „Neuen Messe“, letzter Streich die Umwandlung des altehrwürdigen Hauptbahnhofs in ein „Einkaufszentrum mit Gleisanschluß“. „Hervorragende Beispiele für den Aufbau Ost“ nennt das Helmut Kohl, der Leipzig gern besucht.

„Wir dürfen nicht nur auf die Großprojekte setzen“, sagt hingegen Werner Schulz. Er wettert gegen den geplanten Verkauf von 40 Prozent der Stadtwerke an einen Multi und spricht von der defizitären Messe als „Sorgenkind“. Konkret wird er selten. „Ich stecke noch nicht so in der Kommunalpolitik“, bekennt er ehrlich. Distanz sieht er als Vorteil. „Die Verhältnisse haben mich noch nicht korrumpiert“, meint Schulz.

Für eine Überraschung taugt Schulz allemal. Vor der letzten Landtagswahl befürwortete Schulz eine „schwarz-grüne Option“ im Freistaat Sachsen. Danach verfehlten Bündnis 90/Die Grünen den Einzug in den Landtag.

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