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Alte Rezepte frisch auf den Tisch

■ SPD-Justizsenator, CDU und Polizei fordern geschlossenes Heim für kriminelle Kinder. SPD-Jugendsenatorin und Opposition sind dagegen

Kaum im Amt, macht der neue Justizsenator Ehrhart Körting (SPD) bereits mit drastischen Forderungen von sich reden. In einem Zeitungsgespräch plädierte Körting für die Wiedereinführung der geschlossenen Erziehungsheime für strafunmündige Kinder und jugendliche Straftäter. Er spricht damit der Polizei aus der Seele, die schon länger ein geschlossenes Heim verlangt. Während die CDU den Vorstoß gestern begrüßte und eine sofortige Bundesratsinitiative zur Ermöglichung des Vorhabens verlangte, ist Körtings Parteigenossin, Jugendsenatorin Ingrid Stahmer, strikt dagegen. Auch Bündnis 90/Die Grünen und PDS kritisierten Wegschließen als untaugliches Mittel, um auf Kinder einzuwirken.

Die geschlossenen Heime wurden in Berlin 1990 als Ausdruck eines grundsätzlichen Wandels in der Sozialarbeit abgeschafft. Es hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die geschlossene Fürsorgeerziehung Kinder und Jugendliche nicht von Straftaten abhält, sondern erst recht auf die schiefe Bahn führt. Im Gegensatz zu straffällig gewordenen Jugendlichen, die in Untersuchungshaft kommen können, gibt es für kriminelle Kinder seither kein Sanktionsmittel mehr. Unter 14jährige sind strafunmündig und können für ihre Taten nicht belangt werden. Die Kripo-Zentralstelle für Jugendstraftaten begrüßte Körtings Vorschlag deshalb gestern mit Verweis auf die steigende Kriminalität von Minderjährigen. Nach Angaben von Kriminalhauptkommissarin Jutta von Döllen wurden 1996 10.602 Tatverdächtige unter 14 Jahren registriert, im Vorjahr waren es 9.800. Hauptdelikt sei Diebstahl (6.209 Anzeigen 1996). Von Döllen hält die Unterbringung in einem geschlossenen Heim aber nur für eine ganz besondere Problemgruppe für angezeigt: Für die „minderjährigen, alleinreisenden Flüchtlingskinder“, vor allem aus Osteuropa und Ex-Jugoslawien, die sich in Berlin mit Straftaten über Wasser hielten. Die Polizei nehme jeden Monat rund 150 solcher Kinder und Jugendlicher fest und bringe sie in Notunterkünfte, aus denen sie aber sofort wieder wegliefen. Es gebe aber auch „einzelne, minderjährige Intensivtäter“ aus deutschen und anderen Familien. Körtings Behauptung, Kinder würden verstärkt von kriminellen Banden eingesetzt, hält von Döllen hingegen „für hochgespielt“.

Wie die Sprecherin von Jugendsenatorin Stahmer, Almuth Draeger mitteilte, hat die Jugendverwaltung „das Problem erkannt“ und arbeitet zusammen mit freien Trägern fieberhaft an Lösungen. Stahmer und ihre Mitarbeiter seien jedoch strikt dagegen, die Kinder wegzusperren, sprach sich Draeger gegen die Wiedereinführung von geschlossenen Heimen aus. Es müsse darum gehen, pädagogisch und therapeutisch auf die Minderjährigen einzuwirken. Plutonia Plarre

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