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Behandlung möglich, Heilung nicht

■ Kim Kerkow oder das Elend der forensischen Psychiatrie

Die Verurteilung von Rolf Diesterweg wegen der Ermordung von Kim Kerkow verweist nicht nur auf die Tragödie des Opfers und des Täters. Lohnender als die Empörung ist ein Blick auf die Zustände in den forensischen Anstalten. Diesterweg ist ein Wiederholungstäter; bereits mit 16 mißbrauchte und erdrosselte er ein Mädchen. Eine Behandlung erfuhr er während seiner Jugendhaft nicht. Doch selbst mit Therapie gelten pädophile Gewalttäter als extrem rückfallgefährdet. Angemessene Schuldgefühle fehlen fast immer. In überfüllten Anstalten zeigen die meisten pädophilen Täter kaum Therapiemotivation. Zudem fehlt es an Therapiekonzepten, die diesem Tatbestand Rechnung tragen. Und eine vollständige Resozialisierung pädophiler Täter ist auch unter optimalen Bedingungen ausgeschlossen.

In psychiatrischen Lehrbüchern und den meisten Gutachten geistert noch immer der verquaste Begriff des Triebtäters herum. Doch die Taten erfolgen nicht aus einem übersteigerten Sexualtrieb. Vielmehr bestehen lebenslänglich große sexuelle Schwierigkeiten. Die Täter sind extrem kränkbar und reagieren mit ihren Straftaten häufig auf Enttäuschungen in ihrem Leben. Die perverse Inszenierung des Rolf Diesterweg, der vor seinem toten Opfer Kerzen entzündete und bei sakraler Musik für sich und Kim Kerkow betete, zeugt von dieser abeschlossenen, narzißtischen Welt. Für Hoffnung auf Heilung ist da kein Platz.

So erfordert eine realistische Sichtweise Therapiekonzepte, die entlassene pädophile Straftäter lebenslang begleiten – engmaschig und mit der Möglichkeit, durch therapeutische Einrichtungen und Justiz jederzeit auf Krisen des Täters reagieren zu können. Doch die Realität des Maßregelvollzugs und der wenigen Nachsorgeeinrichtungen ist davon weit entfernt.

Höhere Strafen bewirken nichts. Wer wirksam auf Rückfallgefährdung einwirken will, muß wissen: Behandlung ist möglich, Heilung ausgeschlossen. Und das erfordert sozialtherapeutische Konzepte, die der fast immer mangelnden Motivation der Täter durch Kontrolle und Begleitung Rechnung tragen. Das kostet Geld. Wir brauchen Modelle, die den Täter engmaschig begleiten. Und die Erkenntnis, daß manche Täter besser unter humanen Umständen verwahrt werden. Mitunter lebenslang. Micha Hilgers

Bericht Seite 7

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