piwik no script img

Beamte verteilen herrenlose Nazibeute

Mitarbeiter des niederländischen Finanzministeriums haben 1969 übriggebliebenes jüdisches Raubgut zu Spottpreisen ersteigert. Was mit dem Erlös aus dem betriebsinternen „Handel“ geschah, ist zur Zeit noch unklar  ■ Von Henk Raijer

Berlin (taz) – Holland hat seinen „Nazigold“-Skandal. Seit gestern sorgt ein Bericht der Wochenzeitung De Groene Amsterdammer für Aufregung, wonach Beamte des niederländischen Finanzministeriums sich 1969 bei internen Auktionen mit Nazibeute eingedeckt haben sollen. Es handelt sich um Schmuck, Silberbestecke und Uhren, die die deutschen Besatzer von jüdischen Niederländern geraubt hatten und deren Besitzer nach dem Krieg nicht mehr ausfindig zu machen waren.

Der Fall wurde bekannt, nachdem ein Historiker in einer verlassenen Zweigstelle des Finanzministeriums in der Amsterdamer Herengracht Karteikarten über geraubten jüdischen Besitz entdeckt hatte. Daraus geht zwar auch hervor, daß der größte Teil des bei der Bank Lippmann-Rosenthal deponierten und von den Nazis aus deren Tresoren geraubten Gutes während des Krieges von der deutschen Gold- und Silberfirma Degussa aufgekauft wurde. Ein Teil der Besitztümer deportierter Juden blieb jedoch bei Kriegsende in Holland zurück.

Die Mitarbeiter der Amsterdamer Zweigstelle hatten bis 1961 den Auftrag, die Rechtmäßigkeit der Forderungen der jüdischen Bürger zu prüfen und die Wertsachen gegebenenfalls zurückzugeben. 1969 organisierten Finanzbeamte die Auktionen, bei denen sie selbst die übriggebliebenen Wertgegenstände zu Spottpreisen ersteigerten. De Groene Amsterdammer zitiert einen ehemaligen Finanzbeamten: „An dem Tag bin ich weggelaufen, ich konnte es nicht mehr ertragen. Die Sachen wurden ausgestellt und für 'n Appel und 'n Ei verscherbelt. Eine Mitarbeiterin kam hinterher zu mir und zeigte mir ihre schönen neuen Ohrringe. Sie tanzte vor Freude.“

Was mit dem Erlös geschah, ist unbekannt. Hollands Finanzminister Zalm monierte, der Schmuck hätte öffentlich zu Marktpreisen verkauft werden müssen. Der Erlös hätte der jüdischen Gemeinschaft zugestanden. Tatsächlich wechselten die Gegenstände zum Schätzwert des Jahres 1958 die Eigentümer. Wer 1969 für den betriebsinternen „Handel“ in Frage kam, habe, so De Groene Amsterdammer, das Los bestimmt.

Finanzminister Zalm zeigte sich „entsetzt“ und kündigte eine Untersuchung an. Gestern hat er den pensionierten Chef des niederländischen Bundesrechnungshofes, Kordes, damit beauftragt, den Vorgang zu prüfen. Von denjenigen, die 1969 bei der Versteigerung dabei waren, arbeitet nach Angaben aus Den Haag inzwischen keiner mehr beim Finanzministerium. Kordes schloß nicht aus, daß seine Recherchen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß nach sich ziehen.

Hollands jüdische Organisationen haben mit „Abscheu“ reagiert. Ein Sprecher sagte: „Meines Wissens ging jeder Jude davon aus, daß nichts mehr übrig war von den Sachen, die man hatte abliefern müssen.“ Auch im Parlament gaben sich die Volksvertreter schockiert und wütend. Der Fraktionsvorsitzende der linksliberalen Regierungspartei D66, De Graaf, forderte harte Maßnahmen: „Wenn diese Sache nicht schon verjährt ist, gehören die betroffenen Beamte vor Gericht.“

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen