: Schmuckstück entwertet
■ Kommission schlägt Reform des Bundesverfassungsgerichts vor
Vor einem Jahr hat das Justizministerium eine Kommission berufen, die Vorschläge zur Entlastung des Verfassungsgerichts machen soll. Schon damals war die Zahl der Verfassungsbeschwerden wie heute rückläufig. Dennoch hat der Ausschuß das Problem nicht als erledigt angesehen, da die Arbeitsbelastung weiterhin enorm ist. Das liegt nicht zuletzt an dem hohen Aufwand, mit dem sich die RichterInnen um alle Eingaben kümmern. Bereits vor einem Jahr hatten RichterInnen deshalb für ein „freies Annahmeverfahren“ plädiert, bei dem sich die VerfassungshüterInnen nur mit den Verfahren befassen, die ihnen wichtig und interessant erscheinen.
Die Expertenkommission ging nun noch einen Schritt weiter. Künftig sollen die für die Kleinarbeit eingerichteten Kammern abgeschafft werden und nur noch die Senate entscheiden. Damit wäre allerdings die Wahrscheinlichkeit, daß eine Verfassungsbeschwerde überhaupt auf den Richtertisch gelangt, sehr gering. Denn die Arbeitskapazität der Senate ist eng begrenzt. Auch Verfassungsbeschwerden, die heute positiv entschieden werden, müßten dann unter den Tisch fallen. Denn selbst wenn man die übliche Stattgabequote von nur zwei bis drei Prozent unterstellt, sind das immer noch rund 100 Fälle pro Jahr – zuviel für zwei Senate, die ja auch aufwendige Normkontrollverfahren abwickeln müssen. Außerdem geben auch viele im Ergebnis erfolglose Verfassungsbeschwerden dem Gericht Anlaß zu wichtigen Klarstellungen. Kurzum: Das Gericht mit seinen Kammern mag heute zwar überlastet sein, doch die im Kommissionsvorschlag implizierte Überlastung der Senate ist ungleich größer.
Damit ist der Reformvorschlag so überflüssig wie ein Kropf. Das Gericht könnte sich nicht einmal mit allen Fällen befassen, die mindestens drei Richter für wichtig halten. Und zu einer Arbeitsentlastung der einzelnen Richter käme es auch nicht. Denn diese müßten sich nun mit allen Verfassungsbeschwerden ihres Senats beschäftigen, während sich diese Arbeit heute noch auf drei Kammern verteilt. Vor allem aber wäre die Einrichtung der Verfassungsbeschwerde, die zu Recht als Schmuckstück unseres Rechtsstaats gilt, weiter entwertet. Man hat den Eindruck, daß die Bürgerklage erst mal sturmreif geschossen wird, um sie später dann ganz abzuschaffen. Dann allerdings würden zwei Senate genügen. Christian Rath
Bericht Seite 6
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