Noch kein Urteil im Taxi-Prozeß

Gut 50 Taxifahrer unterstützen einen Kollegen, der wegen „Einschleusens von Ausländern“ angeklagt ist. „Görlitzer Erklärung“: Beförderungsanspruch muß auch für Flüchtlinge gelten  ■ Aus Görlitz Kathi Seefeld und Christoph Villinger

Ein Hupkonzert erschütterte gestern morgen die sächsische Kleinstadt Görlitz in ihrer vorweihnachtlichen Beschaulichkeit. Mehr als 50 TaxifahrerInnen aus Hamburg, Berlin und der grenznahen Region hatten sich auf den Weg gemacht, um einem Kollegen aus Zittau vor dem Görlitzer Landgericht beizustehen.

Der 46jährige Taxifahrer Bernd Ludwig ist der erste von zahlreichen verdächtigten Kollegen in der ostdeutschen Grenzregion, bei dem ein Berufungsverfahren eröffnet worden ist. Bernd Ludwig war bereits im März vom Amtsgericht Löbau-Zittau wegen des „Einschleusens von Ausländern“ zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt worden. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung hatten Berufung eingelegt.

Während der Staatsanwalt dem Taxifahrer gewerbsmäßiges Schleusen unterstellte, hatte der Angeklagte darauf verwiesen, daß er seiner Beförderungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen war und die „Geschleusten“, drei jugoslawische Flüchtlinge, gemäß den Anordnungen des Bundesgrenzschutzes (BGS) faktisch daraufhin abgeklopft hatte, ob es sich bei ihnen um „Illegale“ handeln könne.

Taxi-Chauffeur Bernd Ludwig erläuterte dem Gericht in Görlitz gestern noch einmal ausführlich sein Vorgehen. Er habe die Fahrgäste lediglich vom Marktplatz in Zittau zum Bahnhof nach Bautzen befördern wollen, sich aber die Pässe zeigen lassen: „Man hört ja soviel, auch daß einige ihre Pässe wegschmeißen, um nicht erkannt zu werden.“ Die Zeugen des Bundesgrenzschutzes, die den Taxifahrer 1995 gestellt hatten, gingen mit erheblichen Gedächtnislücken in die Verhandlung.

Auch erhärtete sich der Verdacht, daß der Hauptbelastungszeuge Steffen D. informell mit den Grenzschützern zusammenarbeitet. Bei diesem Belastungszeugen handelt es sich um einen TaxiKollegen, der selbst mehrfach angeklagt war, als Kronzeuge aber gegen fast alle Taxifahrer in Zittau aussagte und somit selbst nur gering bestraft wurde. Nach eigenem Bekunden war er früher selbst als Schleuser tätig. Der Anwalt des Angeklagten konnte belegen, daß Steffen D. 1995 mindestens zehnmal mit seinem Handy beim Bundesgrenzschutz angerufen hatte. Um die Aussagen seines Kronzeugen zu retten, führte die Staatsanwaltschaft überraschend den Ermittlungsleiter des Bundesgrenzschutzes, Jens W., als weiteren Zeugen ein.

Eine von diesem vorgelegte 100seitige Expertise über die Schleusertätigkeiten im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien kannte die Verteidigung jedoch noch nicht. Deshalb beantragte sie eine Aussetzung des Prozesses bis Freitag. Diesem Antrag wurde vom Gericht stattgegeben.

Der Fall hatte in den letzten Monaten bundesweit Schlagzeilen gemacht, sowohl VertreterInnen des Republikanischen Anwaltsvereins Berlin und der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) aus Berlin hatten den Prozeß beobachtet und erhebliche Bedenken angemeldet.

Anklagen wie gegen Bernd Ludwig stehen in den Grenzkreisen Sachsens, aber auch Brandenburgs auf der Tagesordnung. Im Landkreis Löbau-Zittau herrscht derzeit eine wahre Prozeßflut gegen TaxifahrerInnen. Die Strafen fallen ausgesprochen hoch aus. Aktueller Höhepunkt ist ein weiteres Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 1.12. 97, in dem ein weiterer Taxifahrer zu zwei Jahren und zwei Monten Haft verurteilt wurde. Der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration zufolge wird mittlerweile gegen 22 von 73 im Landkreis registrierten TaxifahrerInnen ermittelt.

Vor dem Gerichtsgebäude verlasen gestern morgen die angereisten TaxifahrerInnen eine bereits von fast 200 KollegInnen aus dem ganzen Bundesgebiet unterzeichnete „Görlitzer Erklärung“. Darin weisen sie alle Versuche des Bundesgrenzschutzes zurück, ihnen „Kontrollpflichten“ gegenüber den Fahrgästen aufzubürden.

Weiter heißt es: „Gegen geltende Gesetze verstößt nicht, wer alle Menschen befördert, sondern wer dazu aufruft, eine bestimmte Gruppe von Menschen von der Beförderung auszuschließen. (...) Wir werden auch in Zukunft Menschen ,ausländischen Aussehens‘ mit schlechten Deutschkenntnissen, viel Gepäck und nasser Kleidung‘ zu den geltenden Beförderungsbedingungen zu ihrem Fahrtziel bringen.“ Damit wiesen die TaxifahrerInnen eine Flugblattaktion des Bundesgrenzschutzes zurück, in welcher sie aufgefordert worden waren, gegenüber möglichen illegal eingereisten Flüchtlingen wachsam zu sein. Der BGS hatte insbesondere Äußerlichkeiten als Erkennungsmerkmale genannt.

Die Görlitzer Erklärung greift indirekt auch die scharfen Überwachungsmaßnahmen des Bundesgrenzschutzes an: „Zu viele Flüchtlinge haben bereits, gerade an der östlichen Grenze Deutschlands, ihr Leben verloren: durch Ertrinken, Erfrieren, Ersticken.“