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Postfiliale bleibt weiterhin geschlossen

■ Bürgerinitiative kämpft für Postfiliale. BürgerInnen fertigen Post selbst ab

Was bundesdeutsche StudentInnen neuerdings können, haben ältere Bürger im Hannoveraner Stadtteil Waldheim schon lange drauf: Seit vier Jahren streitet sich die Bürgerinitiative Waldheim phantasievoll und hartnäckig mit der Post um eine geschlossene Postfiliale. Gestern sollte in Bonn in einem bundesweit beachteten Musterverfahren Klarheit geschaffen werden, ob das Postamt wieder geöffnet werden muß. Doch der Kampf ist noch nicht zu Ende.

1993 waren bundesweit rund 1.000 Postämter geschlossen worden. Die Post muß sparen. Die verbleibenden 16.500 Postämter kosten 4,5 Milliarden Mark im Jahr. Bis zum Jahr 2000 soll ihre Zahl auf 10.000 sinken. Doch selbst Postminister Bötsch hat inzwischen erkannt: „Das Postamt gehört wie die Kirche zum Dorf.“

Vor allem ältere Menschen machen gegen die Schließungen der Postämter mobil. Stützen der Waldheimer Bürgerinitiative sind ein 90jähriger, eine 86jährige sowie eine Dame, die gelähmt im Rollstuhl sitzt, und der 64jährige Sprecher der BI, Gerhard Saburowski. Gemeinsam haben sie es gebracht auf: 16 Demonstrationen vor der Hannoveraner Hauptpost, Mahnwachen mit brennenden Kerzen vor ihrer Postfiliale, Demonstration anläßlich der Posttage 1995 in Bonn, eine Demonstration vor dem Messegelände Hannover anläßlich der Cebit 1996 und weitere Aktionen. Einen besonderen Platz in den Annalen des Stadtteils Waldheim in Hannover wird die Besetzung des ehemaligen Postamtes haben, „die erste in der Geschichte des Stadtteils“ wie BIler Gerhard Saburowski stolz betont. Bis Mitternacht blieben die aufgebrachten Waldheimer, die meisten von ihnen ältere Menschen, zusammen. Selbst ein mit Blaulicht angerückter Mannschaftswagen der Polizei brachte sie nicht zum Aufgeben.

Doch auch die Post blieb hart. Zahlen geben Aufschluß darüber, ob es den Waldheimern zumutbar ist, ohne ein eigenes Postamt auszukommen. Laut Post-Kundenschutzverordnung (PKV) hat die Deutsche Post ihr Filialnetz so zu gestalten, daß die Kunden „in der Regel“ nicht mehr als 2.000 Meter zu einer Postfiliale zurücklegen müssen. Vermutlich kann jedes Waldheimer Kind die folgenden Daten herbeten: Die Einwohnerzahl beträgt 1.951, der Anteil der über 65jährigen 24,5 Prozent. Vom Haus Brandensteinstraße 36 beträgt die Entfernung bis zur Postfiliale 81 (Döhren) 2.360 Meter, bis zur Postfiliale 109 (Südstadt) 2.760 Meter und bis zur Postfiliale 118 (Bult) 2.490 Meter. Zusammen mit dem Stadtteil Seelhorst wohnen 2.650 Einwohner außerhalb der in Paragraph 10 Abs.2 Post-Kundenschutzverordnung festgelegten 2.000-Meter-Grenze.

Gerade um die letzte Angabe entzündet sich der Streit. Die Post behauptet, daß es nur 2.112 Einwohner sind und somit ein „unerheblicher Anteil von unter zehn Prozent“ bezogen auf die im Einzugsbereich der umliegenden Postämter lebenden 21.661 Menschen. Die unabhängige Beschlußkammer beim Bundespostminsterium, die in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht über diesen Fall zu befinden hat, war gestern ratlos. Schließlich sind 500 Menschen mehr oder weniger kein Pappenstil.

Der Vorschlag der Kammer, sich nach dem vier Jahre dauernden Streit auf einen Kompromiß zu verständigen, trifft die Vertreter der Post AG offenbar völlig unvorbereitet. Das Angebot der Bürgerinititative, statt des Postamtes wenigstens eine Postagentur in einem Waldheimer Geschäft einzurichten, lehnen sie erst einmal ab.

Die Waldheimer werden sich also weiterhin mit dem postalischen Notdienst abfinden müssen, den sie als Reaktion auf die „Arroganz der Post“ eingerichtet haben. In einem sechs Quadratmeter großen großen fensterlosen Container auf dem Grundstück des Apothekers verkaufen freiwillige Helfer Briefmarken und nehmen die Post an. Die Sendungen werden täglich zu einer Postfiliale weitertransportiert, mit dem Stempel der „Bürgerpost Waldheim“ versehen. Die 450 Kunden leisten dafür einen „Bürgerbeitrag“ von fünf Mark monatlich. Markus Franz

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