piwik no script img

Glück im Unglück

Proletenblues, bedeutungsschwerer Überbau inklusive: Anna Langhoffs „Frieden Frieden“ in der Baracke des DT  ■ Von Esther Slevogt

Zuerst tritt eine Studentin auf und stellt ein etwas pathetisches Modell zur Kostensenkung im Bildungswesen vor: Sie läßt sich von einem jungen Mann aus dem Publikum erschießen. Dann der Milieuwechsel. Von der Uni-Misere in die Sozialmisere. Zu einer Familie jenseits des Existenzminimums, ideel wie materiell. Ohne Arbeit, ohne Geld, ohne Zukunft und, weil man mit der Miete im Rückstand ist, bald auch ohne Wohnung. Da hat der Vater plötzlich ein Gewehr in der Hand, kidnappt seine Familie und droht mit ihrer Erschießung. Aber irgendwie sehen die Darsteller noch immer wie unglückliche Akademiker aus.

Und das ist das Hauptproblem von Anna Langhoffs drittem Stück, das von ihr jetzt auch selbst in der Baracke des Deutschen Theaters inszeniert wurde: Man kauft den Leuten ihr Unglück, von dem sie dauernd und ziemlich wortreich reden, nicht so recht ab. Leute, die so gut über ihr Unglück reden können, die können so unglücklich nicht sein.

Ein junges Mädchen, Modell somnambule Schauspielstudentin (Cathleen Gawlich), tanzt im Ballettkleid durch die Szene. Ab und zu kippt ihre Stimme in einen quäkenden Mickymauston. Manchmal sitzt sie bloß stumm auf der Schaukel, die Stefan Fernau mitten in sein karges Bühnenbild gehängt hat und die wohl so was wie ein Wink mit dem Zaunpfahl ist, daß es hier um mehr gehen soll als um tristen Proletenblues. Bloß worum, kommt in den zwei Stunden, die das Ganze dauert, dann doch nicht so recht rüber.

Die Mutter (Swetlana Schönfelt), in elegantem Blau mit Turban und Spitzentop, redet davon, daß sie Geburtstag hat, und ist frustriert, weil wieder keiner dran gedacht hat. Auch sonst tut sie sich selber ziemlich leid. Alle fünf Minuten zieht sie ihre Lippen dunkelrot nach. Dann und wann zieht sie auch eine Girlande oder etwas Konfetti aus dem BH, träumt vom besseren Leben und einem Urlaub am Meer.

Unter dem Sofa das geladene Gewehr

Der junge Mann (Stephan Grossmann), der ihr Sohn ist, wirkt wie ein überforderter Politologiestudent. Beige Hose, weißes Hemd und dunkelblauer Pullunder. Stapelweise liegen Zeitungen in allen Sprachen um ihn herum. Er redet ziemlich wirr und alptraumgeschüttelt. Wobei keiner weiß, ob er aus seinen Zeitungen oder aus dem wirklichen Leben zitiert. Sein offensichtlich rechtsradikaler Ideenhorizont wird von Schlagworten wie „Volk ohne Raum“ und „Mannestum“ und „Kampf“ begrenzt. Unterm heimischen Sofa hält er sich zu diesem Zweck ein geladenes Gewehr.

Der vierte im Familienbunde ist der arbeitslose Vater (Thomas Neumann), der aus lauter Langeweile und angestauter Aggression ständig Dartspfeile an die Wände wirft und dabei manchmal ein Familienmitglied nur knapp verfehlt. Und weil er es irgendwann satt hat, immer nur der Versager zu sein, greift er sich Sohnemanns Waffe und hat zum erstenmal in seinem Leben wirklich die Macht. Nur weiß er dann gar nicht, was er damit anfangen soll. Denn ein Sixpack Bier und Pizza markieren schon den Gipfel seiner Utopie. Auch er sieht mit seinen Hosenträgern, der braunen Cordhose und dem Beuys-Hut eher wie ein erfolgloser Künstler aus und nicht wie ein arbeitsloser Rambo.

So zieht sich der Abend dahin. Manchmal gibt es scharfgestochene Momente, und plötzlich horcht man auf. Wenn die Mutter ihr Entsetzen beschreibt, als sie erkannte, irgendwann selbst so wie ihre eigene, verhaßte Mutter geworden zu sein. Oder wenn der Sohn erzählt, wie ihm als Kind vom Vater die naß gemachten Hosen zum Trocknen über das Gesicht gezogen wurden und er den beißenden Geruch von Urin nicht mehr los wurde. Aber das bleiben funkelnde Prosastücke im sonst konturlosen Drama. Nirgends wird die Sache der Figuren wirklich verfolgt und auf den Punkt gebracht, statt dessen wird poetisch überhöht und pathetisch verwässert. Am Schluß bleiben dann bloß Allgemeinplätze übrig.

Nächste Vorstellungen: 2.1. und 19.1., jeweils 20 Uhr, Baracke des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13a, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen