: Ran an die Sau
Petanque im Winter: Selbst bei klirrender Kälte rollen in Hamburg die Boule-Kugeln ■ Von Thomas Schubert
Die Sonne wirft schon mittags lange Schatten. Obwohl die Luft klar ist, riecht es nach Benzin. Das macht wohl die Nähe zum Hafens. Dann zeigt einer der sechs Boule-Spielern, die bei klirrender Kälte auf dem Altonaer Balkon ihre Kugeln stoßen, den wahren Grund. Er zieht seine Hand aus der Tasche und befördert einen mit Feuerzeugbenzin betriebenen Taschenofen ans Licht. Den haben alle parat. Denn sonst würden ihre Hände bei diesen Temperaturen an den 700 Gramm schweren, silbernen Eisenkugeln festfrieren.
Das Boule-Spiel, auch Petanque genannt, kommt aus Frankreich, genauer gesagt aus der Provence. Ursprünglich wurden beim Boule die Eisenkugeln mit drei Schritten Anlauf Richtung Ziel getrieben. Nur ausgesprochene Laien wollen heute Ähnlichkeiten mit dem ostfriesischen Boßeln sehen.
Dann zur Jahrhundertwende entwickelten sich die heutigen Bouleregeln. Einige Spieler mochten nämlich nicht mehr mit ansehen, wie ein Boulomane nur mit heftigen Schmerzen die drei Schritte Anlauf hinter sich bringen konnte. Es wurde beschlossen, aus dem Stand zu spielen (pieds tanques = mit geschlossenen Füßen). Petanque war erfunden.
Aus acht bis zehn Meter Entfernung versucht jeder Petanqueist, seine Kugeln näher an die „Sau“, oder vornehm französisch das „Cochonnet“(Schweinchen), zu legen und zu werfen als sein Kontrahent. Jeder Stadtparkbesucher kennt das Spiel, wird es doch im Sommer auf jedem freien sandigen Plätzchen gespielt. Wohlbemerkt im Sommer. Da wundert sich so mancher, daß er auch bei einem Winterspaziergang die Künste der Spieler bewundern kann.
Ein Grund, warum die Mitglieder des Altonaer Boule Club (ABC) dieses Schauspiel bei Minustemperaturen bieten können, sind ihre dicken Pullover, die langen Unterhosen und besagte Taschenöfen. Ein weiterer ist die in Hamburg fehlende Möglichkeit für Indoor-Boule. „In Teilen von Franken oder Baden-Württemberg hat fast jedes Dorf eine Boule-Halle“, erzählt Bernd Ehemann, Sprecher der ABCler. Aber auch im Westen der Republik haben die Petanque-Fans im Winter ein Dach über dem Kopf. So steht in Bochum mit der Boulehalle Ruhrgebiet Deutschlands größte Halle fürs Boulen im Trockenen und Warmen.
Dieses Vergnügen nutzte die erste Mannschaft vom ABC vor einigen Wochen zum Gewinn der Deutschen Mannschafts-Meisterschaft. Um auf diesem Niveau zu spielen, darf ein Petanqueist keine Jahreszeiten kennen. „Bis zu viermal die Woche muß man schon trainieren“, meint Nationalspieler Malte Berger, „auch bei diesem Wetter“.
Um in Hamburg bessere Bedingungen für ihre Leidenschaft zu schaffen, ist der ABC mit seinen 56 Mitgliedern in den Hamburger Sportbund eingetreten. „Wir erhoffen uns dadurch größeres Interesse und Unterstützung“, erklärt Bernd Ehemann. Sein Ziel ist endlich eine Boule-Halle für die Hansestadt. „Schließlich boomt der Sport in Hamburg“, gibt er sich kämpferisch. Für die Anhänger der Silberkugel wäre das eine schöne Sache. Die Spaziergänger im Stadtpark oder auf dem Altonaer Balkon, einem der schönsten Plätze Hamburgs, hätten das Nachsehen. Sie müßten auf das Aneinanderklacken der Kugeln und den Geruch der Taschenöfen verzichten.
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