: Frisch gequält auf den Tisch
■ Wenn es beim Menschen feierlich werden soll, geht es Tieren an den Kragen: Fische, Geflügel und "Streicheltiere" leiden unter der traditionellen Weihnacht und der Geschenkwut ganz besonders
Schenkt man der Weihnachtsgeschichte Glauben, sorgten Maria und Joseph nicht nur für den Erlöser der Welt, sondern auch für artgerechte Tierhaltung. Ochs und Esel standen in einem warmen Stall, es gab Heu und Stroh im Überfluß. Und auch die Hirten beachteten die Richtlinien zum Tierschutz: Ihre Schafe lebten nicht eingepfercht, sondern liefen frei über die Weiden.
Von so paradiesischen Zuständen sind die Tiere im heutigen Berlin weit entfernt. Im Gegenteil, wenn es weihnachtet, geht es nicht nur vielen Tieren an den Kragen. Auch die unnötigen Quälereien an Tieren nehmen in jedem Jahr regelmäßig zum Fest der Liebe zu: Fische, Geflügel und „Streicheltiere“ leiden unter der menschlichen Vorstellung eines traditionellen Weihnachtsfestes.
Dazu gehört für viele Menschen ein frischer Fisch auf dem Teller. Doch Tierärztekammer und der BUND versuchen schon seit Jahren, den Import lebender Karpfen und Forellen aus Brandenburg nach Berlin zu unterbinden: „Diese Transport- und Haltungsweise verursacht den Tieren erhebliche Qualen und verstößt gegen das Tierschutzgesetz“, erklärt Klaus Lüdcke, Präsident der Tierärztekammer. Die Fische müßten gleich nach dem Fang geschlachtet und eingefroren werden. Der Fisch werde durch den Transport bei lebendigem Leibe nicht etwa besser, so Lüdcke: „Die Qualität des Frischfleisches sinkt“, weil die Fische lange unter Streß stehen.
Auch der Verkauf von Stopflebern von gewaltsam genudelten Enten und Gänsen ist für den Tiermediziner „eine Sauerei“. Unterbinden lasse sich diese französische Variante des guten Geschmacks allerdings nicht, weil EU-Richtlinien sie erlauben.
Tausende von toten Enten und Gänsen werden zur Weihnachtsfeier nach Berlin importiert. Nach Angaben von Lüdcke stammen sie zum großen Teil aus Schlachthöfen in Polen, die den Tieren nach EU- Standards den Hals umdrehen – oder besser: abschneiden, nachdem sie vorher an den Füßen kopfüber hängend mit Wasser bespritzt und mit Elektroschock betäubt worden sind. Eine Betäubung mit Gas vor der Schlachtung sei allemal erträglicher für die Tiere.
Während für die Schlachttiere am Weihnachtstag die Qual vorbei ist, fängt sie für ihre niedlichen Leidensgenossen erst an: Regelmäßig nach Weihnachten, „teilweise bereits am ersten Weihnachtstag“, werden im Tierheim Lankwitz die Hamster, Kaninchen oder Meerschweinchen entsorgt, die als Überraschung unter dem Weihnachtsbaum lagen und von den Kindern nicht so begeistert aufgenommen werden, wie Oma und Opa es sich vorstellen. „Ich bin dankbar für jedes Tamagotchi, denn dann wird ein Hamster weniger von den Kindern gequält“, meint Carola Ruff vom Tierheim.
Besser haben es da schon die Tiere im Zoo. Wenn sie Glück haben, gibt's an Weihnachten ein paar Möhren extra. „Das hängt davon ab, wie sentimental der jeweilige Pfleger ist“, heißt es. Denn eine allgemeine Dienstanweisung, zu Weihnachten doppelte Rationen auszugeben, gibt es auch bei den Tierfreunden im Zoo nicht. Bernhard Pötter
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