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Rote Zora gesucht, Gentechnik-Gegnerin gefunden

■ Vor zehn Jahren wurde die Hamburger Setzerin Ulla Penselin verhaftet

1987, wenige Tage vor Heiligabend: Auf Initiative der Bundesanwaltschaft durchsuchen Beamte des Bundeskriminalamts in Hamburg fünf Wohnungen – darunter zwei Frauenwohngemeinschaften in der Annenstraße. Auch ein Buchladen in St.Pauli, die alternative Druckerei „Konfront“und die benachbarte Foto-Redaktion der taz hamburg im Nernstweg bekommen unangemeldeten Besuch. Die Beamten sind mit Durchsuchungsbeschlüssen ausgestattet.

Im Rahmen der „Aktion Zobel“, bei der rund 300 Beamte bundesweit 33 Wohnungen und Arbeitsplätze durchstöbern, nehmen die Ermittler in Eppendorf die Setzerin Ulla Penselin fest. Penselin wird zum Haftrichter nach Karlsruhe geflogen und findet sich am Tag darauf im Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis wieder. Vorgeworfen wird ihr die „Mitgliedschaft oder Unterstützung der terroristischen Vereinigung Revolutionäre Zellen bzw. Rote Zora“.

Die Bundesanwaltschaft beschuldigt Penselin, sie habe zusammen mit anderen Frauen Anschläge gegen Gentechnologie-Zentren vorbereitet. Später wird dieser Vorwurf korrigiert. Nun soll die Setzerin an den Anschlägen der „Roten Zora“auf die Halstenbeker Adler-Werke beteiligt gewesen zu sein.

Die konspirativen, anschlagsvorbereitenden Treffen, an denen Penselin teilgenommen haben soll, entpuppen sich jedoch im Lauf der Ermittlungen als ganz normale Redaktionssitzungen der in Hamburg erscheinenden gentechnikkritischen Zeitschrift „e.colibri“. Der Vorwurf, die Hamburger Setzerin sei an der Vorbereitung oder gar Durchführung von Sprengstoffaktionen beteiligt gewesen, bricht wie ein Kartenhaus zusammen.

Dennoch reicht der Bundesanwaltschaft der „Anfangsverdacht“gegen die gentechnikkritische Feministin aus, um sie neun Monate lang im Knast festzuhalten. Erst am 22. August 1988 öffnen sich für Ulla Penselin die Pforten des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis. Das Verfahren gegen die Schriftsetzerin wird schließlich ganz eingestellt.

Andere Verdächtige, auf die die „Aktion Zobel“zielte, kommen weniger glimpflich davon. Die im Rahmen der Razzia festgenommene Kölner Journalistin und frühere Emma-Redakteurin Ingrid Strobel wird im Oktober 1990 zu drei Jahren Gefängnis wegen Beihilfe zu einer Sprengstoffexplosion verurteilt. Sie soll einen Wecker gekauft haben, der am 26. Oktober 1986 bei einem Sprengstoffanschlag auf das Lufthansa-Verwaltungsgebäude in Köln-Deutz für den Zündmechanismus verwendet worden sein soll.

Mehrere andere gesuchte Frauen, nach denen die Bundesanwaltschaft im Dezember 1987 fahndete, entzogen sich ihrer Verhaftung, indem sie – zum Teil bis heute – untertauchten. Ermittelt aber wird noch heute: Gegen die Kriminalautorin Corinna K. beispielsweise, die sich nach acht Jahren Illegalität im Oktober 1995 den Behörden stellte. Ende Januar wird vor dem Oberlandesgericht Stuttgart gegen sie ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in der „terroristischen Vereinigung Rote Zora“eröffnet.

Marco Carini

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