Hoffnungslos verquasselt

■ Ein schöner Abend mit Tim Fischer und FreundInnen im Jungen Theater / Zum Beispiel Sex / Kurzum: Voll war's

Aus der Not des Künstlers, so will es das bürgerliche Klischee, erwächst die schönste Kunst. Ob dieses gräßliche Diktum auch für Kulturstätten gilt? Ohne Zweifel geht es dem Jungen Theater finanziell momentan ziemlich schlecht, und zweifellos war die Premiere des Gastspiels von Tim Fischer, Lisa Politt, Gunter Schmidt und Rolf Claussen ziemlich gut. Für die Zunft der UnternehmensberaterInnen – wer weiß, vielleicht saß der eine oder die andere gar im ausverkauften Saal – vermutlich ein weiterer Beleg für ihre These, daß Krisen immer begrüßenswert sind, weil sie so herrlich stimulierend wirken. Aber die Guten, Edlen und Zärtlichen dieses Erdballs, sie wissen, daß das der unsägliche Blödsinn ist, mit dem die Hohepriester des Kapitalismus seit Ewigkeiten die alltägliche Barbarei hier und überall zu legitimieren suchen.

Aber eigentlich soll an dieser Stelle etwas über das Programm „Nichts ist unmöglich“des zuvor genannten Quartetts stehen. Normalerweise schreibt man jetzt, ganz pfiffig, man sei ja im Grunde mitten dabei. Was natürlich meistens nicht wahr ist, weil man sich, einer spontanen Stimmung nachgebend, einfach nur hoffnungslos verquasselt hat. Aber dieses eine Mal stimmt es tatsächlich. Zumindest irgendwie. Denn der Wahnsinn des Alltags, sei er nun durch UnternehmensberaterInnen hervorgerufen oder nicht, stand Pate für die meisten Lieder und Sketche des Chansonniers Fischer und der KabarettistInnen Politt, Schmidt und Claussen.

Sex, z.B.. Wer es heutzutage noch ohne Latexvollverkleidung, ungepierct und nicht mit seinem Meerschweinchen in der Missionarsstellung treibt, steht unter Rechtfertigungsdruck. Wie beruhigend wirkte da das adrett vorgetragene Chorstück „Machen wir es endlich wieder mal von vorn“, das in einer Strophe tabubrechend auf reale Probleme aufmerksam machte: „In der zweiten Nacht habe ich fürchterlich gelacht / denn von hinten fandest du nicht gleich das Loch“. Während Rolf Claussen ein Beil in ein rohes Stück Fleisch niedersausen ließ, sang Tim Fischer voller Inbrunst sadomasochistisches Liedgut: „Sei mein Metzger heut' nacht, komm mach' Hackfleisch aus mir.“Sehr schön das, ebenso wie Politts sozialpädagogisch korrekter, ganzheitlicher Frauensong für bedrohte Machos „Da gibt es was bei mir, das weckt Ängste bei Dir“. Die kleinen Hänger zwischendrin, die grottenschlechte Cowboynummer, der laaaaangweilige Nummernboy-sketch – was soll's, fiel nicht weiter ins Gewicht.

Kurzum: Voll war's. Lang ging's. Und nett war's auch. Wenn Sie in den nächsten Tagen also nichts besseres zu tun haben, lohnt sich ein Besuch in der Friesenstraße allemal. Und falls Sie etwas besseres zu tun haben, verschieben Sie es. Denn Silvester ist die letzte Vorstellung. Und wer weiß, was danach mit dem Jungen Theater sein wird. zott

bis 31. Dezember um 20.30 Uhr, außer 24. Dezember (23 Uhr) u. 31. Dezember (18 Uhr)