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Huong Tra hat neue Eltern

Die 13jährige Nguyen Huong Tra sollte im April nach Vietnam abgeschoben werden. Vor kurzem jedoch bekam sie die Adoptionsurkunde und den deutschen Paß – und darf bleiben  ■ Von Marina Mai

Das schönste Weihnachtsgeschenk für die 13jährige Vietnamesin Nguyen Huong Tra ist ein Stück Papier: Eine Urkunde des Amtsgerichts Wedding bescheinigt dem Kind, nunmehr von Onkel und Tante adoptiert worden zu sein. Das Kind, das noch im April nach Vietnam abgeschoben werden sollte, bekam die deutsche Staatsangehörigkeit gleich dazu.

1992 nahmen Geschäftsreisende das damals sechsjährige Mädchen, das die Eltern bei prügelnden Verwandten abgegeben hatten, auf Drängen der Großeltern mit nach Berlin. Onkel und Tante, die bereits an der Spree lebten, nahmen sie auf wie die eigene Tochter. Huong Tra kam gerade in die erste Klasse. „In Deutschland war die Schule gleich schöner als in Vietnam“, erinnert sich das schüchterne Mädchen. Denn die vietnamesischen LehrerInnen schlagen die Kinder auch. Jetzt besucht Huong Tra die 7. Klasse der Bettina-von-Arnim-Gesamtschule in Frohnau. Sie sei eine glänzende Schülerin, erzählt ihre 21jährige Adoptivschwester Yen, die als heimliches Familienoberhaupt zur Pressesprecherin des Familienkükens wurde.

Das Kinderzimmer in einem Reihenhaus in Hermsdorf teilt Huong Tra mit ihrer ebenfalls 13jährigen Adoptivschwester. Vier Töchter gehören zur Familie, die 1979 Vietnam als Boatpeople verließen. Der Grund: Seit dem Krieg mit China war die Mutter, eine ethnische Chinesin, vielen Repressionen ausgesetzt.

Der festlich geschmückte Weihnachtsbaum steht im Wohnzimmer gleich vor dem vietnamesischen Ahnentempel, an dem der Vater Räucherkerzen für seine toten Vorfahren anzündet. Die Eltern achten den alten Brauch. Doch sie respektieren auch die europäischen Werte, die die Töchter in die Familie einbringen. Niemand sieht ein Problem darin, daß Tochter Yen einen deutschen Freund hat. „Und wenn meine Eltern damit Probleme hätten, ließe ich mir das auch nicht verbieten“, erklärt die 21jährige selbstbewußt, die gar nicht so ins traditionelle Bild der gehorsamen vietnamesischen Tochter, die den Älteren widerspruchslos gehorchen muß, paßt.

„Ich lebe hier, und da sage ich meine Meinung“, meint Yen, die eine Ausbildung als Verkäuferin absolviert und wie alle in der Familie einen deutschen Paß hat. Daß die älteste Tochter das Zepter in der Familie schwingt, mit den Behörden telefoniert oder der Mutter einfach den Telefonhörer abnimmt, wenn sie glaubt, diese werde von einem Vertreter übers Ohr gehauen, wäre in Vietnam undenkbar. Die Eltern, die als Krankenpfleger und Inhaberin eines China-Imbisses ihr Geld schwer verdienen müssen, sind froh, daß jemand das Organisatorische zu Hause übernimmt. Der Vater gesteht, es mache ihn nur traurig, daß keine seiner Töchter mehr richtig vietnamesisch spricht. Die Zeit, die ihm für seine Familie bleibe, sei zu kurz.

Weinachten sei eigentlich schöner als das Neujahrsfest nach dem buddhistischen Mondkalender, das im Februar begangen wird, sagt Huong Tra, und sie weiß nicht, warum das so ist. Vielleicht, weil es zu Weihnachten Geschenke und zum Tet-Fest „nur“ Geld gibt. Das Mädchen hatte immer gehofft, in der Familie bleiben zu dürfen. Doch im April verfügte die Ausländerbehörde, „Frau Huong Tra“ habe sich „zur Durchführung der Abschiebung“ im Polizeipräsidium einzufinden. Um 6 Uhr morgens und mit maximal 20 Kilo Gepäck. In letzter Minute hielt eine Schwester die 1,40 Meter große „Frau Huong Tra“ davon ab, aus dem Fenster zu springen.

Selbst die große Schwester Yen, die sonst um einen Ausweg nicht verlegen ist, war damals ratlos. Eine Arbeitskollegin des Vaters verständigte schließlich die bündnisgrüne Fraktionsmitarbeiterin Rita Kantemir. Die mobilisierte den Petitionsausschuß und die Medien.

Eine Abschiebung einer Minderjährigen ist völkerrechtlich nur dann zulässig, wenn von Deutschland aus die Integration in ein kindgerechtes Umfeld organisiert wird. Francine Jobatey, die Sprecherin von Innensenator Jörg Schönbohm (CDU), erklärte damals, die leiblichen Eltern hätten die Rückkehr ihrer Tochter verlangt. Doch Huong Tras Onkel in Berlin wußte es besser. Von seinem Bruder und dessen Frau fehlte seit Monaten nämlich jedes Lebenszeichen. „Keinen Kontakt zu den Eltern“, bestätigte im Juli auch das Auswärtige Amt auf Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Christa Nickels. Nur dank des Petitionsausschusses war überhaupt Zeit geblieben, Kinkels Behörde um Auskunft zu bitten. Anderer Kinder entledigt sich das Land Berlin, ohne daß eine solche Prüfung möglich wäre.

Die Innenverwaltung hat den Fehler bis heute nicht eingestanden. Als Huong Tra im September eine Duldung erhielt, wäre das laut Innensenatssprecher Thomas Raabe nur geschehen, „weil das Kind wegen der Suizidgefahr derzeit nicht abgeschoben werden kann“. Jetzt bestätigt die Adoptionsurkunde, was die Familie schon immer wußte: Der Aufenthalt der Eltern, die sich vor Jahren ihrer Tochter einfach entledigt hatten, ist „dauernd unbekannt“. Huong Tra hat in Berlin nicht nur neue Eltern, sondern auch ihren Lebensmut zurückgewonnen.

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