: Großmeisterinnen im Organisieren
■ Das Modellprojekt „Zeiten der Stadt“untersucht die Zeitbedarfe von Frauen
Behördengänge nach Terminabsprache, Arztbesuche am Samstag-vormittag, offene Bankschalter bis 18 Uhr – in Hamburgs Stadtteil Barmbek-Uhlenhorst sind einige Ideen ökologischer Zeitpolitik bereits in die Realität umgesetzt. Sie sind Ergebnisse des Projektes „Zeiten der Stadt“. Das Vorhaben gilt als europäisches Modellprojekt, angesiedelt beim Gleichstellungsamt des Hamburger Senats, unterstützt von der Europäischen Union.
„Wir haben zum ersten Mal in Deutschland die speziellen Zeitbedarfe der Frauen untersucht“, erklärt Projektmitarbeiterin Liane Melzer. Befragt wurden Bürgerinnen aller Schichten, von den Schönen und Reichen in Alsternähe bis zu Sozialhilfeempfängerinnen in Dulsberg.
Daten aus Barmbek-Uhlenhorst: Von 600 befragten Frauen waren gut 80 Prozent berufstätig. Der stundenweise Nebenjob ist die Ausnahme. Selbst von den Frauen mit Kindern im eigenen Haushalt sind zwei Drittel mit mehr als 25 Wochenstunden beschäftigt. Sie sind Großmeisterinnen im Organisieren, pendeln zwischen Schule, Arbeitsplatz, Tagesstätte, Supermarkt und Wohnung – und kümmern sich zwischendurch noch um den Babysitter für die kommende Woche.
„Der Zeitstreß für Frauen ist größer, vor allem, wenn Sondersituationen auftreten“, erklärt Liane Melzer. In den Ferien bleiben 60 Prozent der Mütter zu Hause, aber nur drei Prozent der Väter. Wird das Kind krank, bleiben 70 Prozent der berufstätigen Mütter zu Hause, vier Prozent der Väter.
Die Frauen wünschen sich längere Öffnungszeiten in Geschäften, Behörden und Arztpraxen, um die Anforderungen von Beruf und Familie leichter koordinieren zu können. Als „Hauptdefizit“nennt die Hamburger Studie das Fehlen „flexibler Betreuungszeiten in Kinderbetreuungseinrichtungen“– falls ein Kind krank wird. Oder wenn die Mutter zwei Stunden ohne Gequengel einkaufen möchte.
Einige Wünsche konnte das Projektteam bereits erfüllen. Zwei Kindertagesheime haben sich bereiterklärt, ein Essen und Betreuung über die Mittagszeit anzubieten. Der Verein „Jung und Alt in Zuwendung“hat zugesagt, Leih-Omas und -Opas künftig nicht bis 17, sondern bis 19 Uhr sowie auch an Samstagvormittagen zu vermitteln. Mit der Vereinigung städtischer Kinder- und Jugendheime laufen zur Zeit Gespräche. Ziel ist es, für jeden Wochentag mindestens eine Einrichtung zu finden, die Kinder bis 19 Uhr betreut.
Weitere Erfolge des Projekts: Eine Sparkassen-Filiale und 16 Ärzte haben ihre Öffnungszeiten verlängert. Und der bislang dickste Brocken: Vier Abteilungen im Ortsamt Barmbek haben sich auf gemeinsame Kernsprechzeiten geeinigt. Außerhalb der Kernzeiten können zudem Einzeltermine telefonisch vereinbart werden.
Die Kernsprechzeiten wechseln allerdings von Tag zu Tag, acht Abteilungen haben sich an dem System nicht beteiligt, und eine Ausdehnung der Öffnungszeiten in die Abendstunden oder auf Samstagvormittage fand nicht statt. „Das Anliegen, kundenfreundliche Maßnahmen für das Ortsamt zu entwickeln, stößt in Barmbek-Uhlenhorst an gewisse Grenzen“, heißt es in der Studie. Von einer Enttäuschung möchte Projektmitarbeiterin Liane Melzer nicht sprechen. „Das ist das, was möglich war.“Und die „gewissen Grenzen“? „Ganz einfach: Es arbeiten im Ortsamt auch berufstätige Mütter.“
Bis Ende nächsten Jahres will das Projektteam noch Erfahrungen in Barmbek sammeln. Positive Ergebnisse sollen dann, soweit möglich, auf andere Stadtteile übertragen werden. Achim Fischer
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