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Mit Fleiß zum Herz der Finsternis

■ „Die Arbeit des Zeichnens“: Die Londonerin Fiona Banner läßt Marlon Brando in der Gesellschaft für aktuelle Kunst ganz groß auftreten / Außerdem zu sehen: Mühsalswerke, Offenbarungen, Wölkchen und Science Fiction

In der Weserburg ist die Zeit angehalten. Ganz hinten in der äußersten Ecke der Gesellschaft für aktuelle Kunst (GAK) im Erdgeschoß des Museums reckt sich Marlon Brando in Pose. Monumental und wohl fünf Quadratmeter groß lugt er in seiner Rolle als Kurtz in „Apocalypse Now“aus dem Herz der Finsternis – ein Augenblick beinahe für die Ewigkeit, in tausenden und abertausenden von Bleistiftstrichen festgehalten von einer 30jährigen Fleißarbeiterin namens Fiona Banner.

Die „Arbeit des Zeichnens“ist eine Ausstellung mit Beiträgen von sechs jungen KünstlerInnen aus Europa und den USA in der GAK überschrieben, und nicht nur bei der Teilnehmerin Fiona Banner ist dieser Titel ganz buchstäblich zu verstehen. Denn wie die anderen ZeichnerInnen persönliche Erinnerungen oder mediale Wahrnehmung festhalten wollen, versucht sie, den Fluß von Filmbildern anzuhalten.

Beim monumentalen Brando alias Kurtz ist ihr das auf so mühsame wie beeindruckende Weise gelungen. In einer anderen Arbeit, „The desert“, betont sie dagegen die Flüchtigkeit. Im Cinemascope-Format eines Schachtelkinos hat sie Text aus „Lawrence of Arabia“auf ein Papier gesetzt. Die Augen huschen über die Wortwüste, bleiben hier und da hängen, huschen weiter, bis es schwindelt. Fiona Banners Kunst ist schlicht medienkritisch, und sie ist nicht die erste, die es mit der Bilderflut aufnimmt. Doch durch ihre Akribie, mit der sie den Inhalt von „Apocalypse Now“und anderen Vietnamfilmen in einem Buch nacherzählt („Nam“) oder in einer Zeichnung einen Film über den Start einer Saturn-Rakete in seine Bildsequenzen und somit in seine kaum wahrnehmbare Informationsfülle zerlegt („Lift Off“), gelingt ihr der Konter: Der Wucht der Bilder setzt sie ihren Fleiß entgegen. Die Zeit steht still – für einen Besuch in der Weserburg.

Die meisten Arbeiten ihrer KollegInnen, die die GAK-Leiterin Eva Schmidt zur Ausstellung eingeladen hat, entfalten nicht annähernd die gleiche Kraft. Sie sind zurückgenommen wie Frances Starks – ebenso fleißig – hingehauchte Buchstabenserien.

Was Fiona Banner der Film ist, ist ihr das Buch: In Buchdruck-Blöcken gezeichnete Linien markieren die Wanderungen des Auges beim Lesen; in anderen Arbeiten zeichnet sie Lettern ab und kopiert sie mit Kohlepapier auf andere Blätter. Die Wahrnehmung von gelesener Information ist hier zu einer langsamen Entzifferung übersetzt, verrätselt aber mehr als zu erhellen. Offenbar ebenso besessen wie die Londonerin Fiona Banner ist der US-Amerikaner Russell Crotty. In übergroßen Künstlerbüchern zeichnet er astronomische Beobachtungen und vermischt sie mit (Film-) Geschichten und Phantasielandschaften. Monumental auch diese zeichnerische Science Fiction, aber zugleich auch skurril.

Das Zeichnen ist eine der einfachsten Formen künstlerischen Ausdrucks. Und ebendiese Einfachheit betont die Schwedin Maria Lindberg in ihren Kladden von ihren Wegen durch Stockholm, ge-tuschten Sprüchen oder comichaften Skizzen. Es ist ein Spiel mit offenbarter Intimität, wie es von zahlreichen KünstlerInnen auch mit der Fotografie, der Literatur und anderen Mitteln betrieben wird.

Piotr Nathans in Punkte und Raster zerlegtes, in mühsamer Arbeit auf die Wand aufgetragenes Atelierfoto oder Siobhan Liddells auf Papierwölkchen gezeichnete Aphorismen komplettieren das, was Eva Schmidt an „zeichnerischen Positionen“widerspiegeln wollte. Sehenswert ist die Ausstellung aber vor allem wegen Fiona Banners „Filmkunst“. ck

„Die Arbeit des Zeichnens“bis zum 15. Februar in der Gesellschaft für aktuelle Kunst in der Weserburg; dienstags bis sonntags 11-18 Uhr

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