■ Nachschlag: Frühlings Erwachen: „Penthesilea“ als Jugenddrama im Schoko-Laden
Ein draller Jüngling, feist bewamst, steht auf dem Kopf und rezitiert: Text, der ihm gar nicht gehört. Der Schauspieler Tobias J. Lehmann ist es, der den Anfangsdialog zwischen Antilochus und Odysseus schwer atmend als Aufwärmübung für seine Rolle als Achilles nutzt. „Penthesilea“ von Heinrich von Kleist im Schoko-Laden. Der Regisseur Matthias Merkle, der schon zum siebten Mal an diesem Ort inszeniert, mag formalisierte Positionierungen, gesprochen wird dann aber doch im pseudo-realistischen Furor des rechtschaffenen Trauerspiels. Wer von wannen kam und was danach passierte – Lehmann muß den Text so sinnend aus sich raussaugen, als ob er ihm just einkommen täte. Eine Art Theater, in der sich die Figuren formschön immerzu darüber wundern, was sie sagen, und dabei verrenkt verharren oder Rituale tanzen.
Außer Achilles treten noch die Amazonen auf, angeführt von Penthesilea. Nein, nichts gegen Heinrich von, um Himmels willen. Auch nichts gegen Jan Müllers aparten Opferplatz im winzigen Theaterraum und schon gar nichts gegen die Darstellerin der Hauptfigur oder die anderen vier Frauen. Alles aber gegen die hölzernen und inkonsequenten Stilisierungen. Das fummelt ungeschickt am Pathos rum, statt sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Doch genug davon, es gibt auch Nettes zu berichten.
Henriette Heinze nämlich spielt die Penthesilea, und Henriette Heinze – die so jung ist, daß es okay ist, sie noch nicht zu kennen – ist eine Penthesilea wie aus einem Jungenstraum. Ihr Herz so rein, die Schönheit so wahr, die Tränen so echt, die Haare so wirr. Und unbeirrbar das trotzige Habenwollen. Nix Politik in dieser Les- und Spielart, der Fortbestand des Amazonenstaats ist hier egal. Nix Triebsublimation und mach kaputt, was du begehrst, und erst recht keine grausame Lust und küß mich, ich beiß dich. Dafür ein echtes Erwachen, Staunen und Erschrecken.
In Mimik, Gestik, Haltung und Ton trifft Heinze rührend und überzeugend das Weltunverständnis der Pubertierenden: die Hoffnung und Wut, die der narzißtischen Kränkung folgen, daß es da einen gibt, der Nicht-Ich ist. Kleists „Penthesilea“ als Drama der Jugend und als solches fast ein Solo – entschlossenen Schwärmern sei es empfohlen, wobei gilt: Bringen Sie Ihre Scheuklappen mit. Petra Kohse
Heute und 4., 8., 18. bis 20.1., 20 Uhr; 16.1., 22 Uhr, Theater im Schoko-Laden, Ackerstraße 169
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