: Für Ideologie hat sie wenig übrig
Gesichter der Großstadt: Gabriele Camphausen, Interimsnachfolgerin für Andreas Nachama, fängt heute als geschäftsführende Direktorin der Topographie des Terrors an ■ Von Julia Naumann
Das Gefängnis war zwei Jahre lang ihr zweites Zuhause. Fast täglich durchschritt Gabriele Camphausen das metallene Eingangstor, an dem noch heute ein Pförtner über die BesucherInnen wacht. Im Verwaltungsgebäude sind die Wände verblichen, das Linoleum riecht nach dem typischen DDR- Desinfektionsmittel. Tristesse, soweit das Auge reicht. Das Büro von Gabriele Camphausen strahlt als einziger Raum Gemütlichkeit aus: Pflanzen, helle Möbel, warmer Teppichboden. „Hier habe ich mich sehr wohlgefühlt“, sagt die 40jährige etwas wehmütig und meint damit nicht nur ihr Büro, sondern das gesamte Areal: Die Gedenkstätte Hohenschönhausen, die ehemalige zentrale Untersuchungshaftanstalt des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Hier war Camphausen zwei Jahre Leiterin. Heute fängt sie einen neuen Job an, auf noch viel tristerem Boden: Sie ist die neue geschäftsführende Direktorin der Topographie des Terrors, als Vertretung für Andreas Nachama, der im Juni zum Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde gewählt wurde.
Erst der tägliche Umgang mit DDR-Vergangenheit, jetzt wieder der tägliche Umgang mit Nazi- Vergangenheit – Camphausen, die von sich selbst sagt, daß sie von Theorien und Ideologien wenig hält, reizt diese Aufgabe enorm, denn: „Das ist etwas Schwieriges und Großes.“ Die „Topo“, wie sie die Gedenkstätte nennt, sei eine Herausforderung, weil es sich um einen „bestehenden Betrieb im Aufbruch“ handele.
Die Historikerin, die 1989 am Osteuropa-Institut der Freien Universität zur Rußlandforschung während der NS-Zeit promoviert hat, möchte neben den geschäftsführenden Tätigkeiten auch viele inhaltliche Ideen einbringen. So sollten ihrer Vorstellung nach zukünftig noch mehr Menschen mit konkreten Schicksalen illustriert werden, denn „Zahlen allein vermitteln zu wenig“.
Ob ihr der gerade entstehende Neubau, das kühle unnahbare Stabwerk des Schweizer Architekten Peter Zumthor, gefällt? Da muß Camphausen, der die provisorische Ausstellung der Topographie des Terrors bestens vertraut war, weil sie dort schon 1990–91 an der Ausstellung „Der Krieg in der Sowjetunion“ mitarbeitete, einige Sekunden nachdenken: „Das neue Gebäude ist sehr sperrig“, sagt sie, „aber das ist gut, denn dann kann es nicht mehr weggeschoben werden.“
Vergangenheit vergessen, wegschieben, das hält Camphausen, die von 1992 bis 1995 im Museum Karlshorst gearbeitet hat, für fatal. „Es gibt einfach Themen, die man nicht wegsparen kann“, sagt sie im Rückblick auf die wieder verworfenen Pläne des Senats vor einem Jahr, der Topographie die Gelder zu entziehen. „Ich bin politisch interessiert, lebe aber als Individuum“, beschreibt sich Camphausen selbst. Sie charakterisiert sich als einen Menschen, der „hochkonzentriert arbeitet, nicht besonders gesellig ist und manchmal zu Cholerik neigt“. Sich parteipolitisch festlegen zu lassen, ist ihr ein Greuel: „Manche sehen mich als rechts, manche als links“, sagt sie.
In der Vergangenheit hat sich Camphausen gegenüber unterschiedlichen Anliegen offen und möglichst aufgeschlossen verhalten. Das mußte sie auch, denn als sie Leiterin der Gedenkstätte Hohenschönhausen wurde, wehte ein „scharfer Wind“, wie sie rückblickend sagt. DDR-Opferverbände wie der Bund der stalinistisch Verfolgten und HELP hatten sie anfangs nicht akzeptiert, „weil ich aus dem Westen kam und kein ehemaliger Häftling bin“. Doch: „Ich habe mich nicht als Westwissenschaftlerin begriffen, sondern immer als weiblicher Mensch, der sich mit bestimmten Themen auseinandersetzt.“ Nach zwei Jahren sei der Kontakt zu den Verbänden „weitgehend gut“: „Ich erlaube mir eine nüchterne Distanz ihnen gegenüber. Trotzdem kann ich ihre Betroffenheit verstehen.“ Sowohl den Opferverbänden als auch dem an der FU angesiedelten SED-Forschungsverbund – der zentralen Stelle zur Aufarbeitung von Stasi-Akten – bescheinigt sie „manchmal zu scharfe Formulierungen“ in der Bewertung bestimmter Themen. Doch, und das sei der größte Verdienst der Forschungsstelle: „Sie haben es geschafft, Tabus zu brechen.“ Zum Beispiel provokant mit der Entspannungspolitik der Bundesrepublik umzugehen.
Camphausen ist es wichtig, „Denkverbote“, gerade solche ihrer Generation, aufzubrechen. Sie ist zwar zu jung, um 1968 bewußt mitbekommen zu haben, aber die Nachwehen dieser Generation habe sie sehr lange gespürt. „Die 68er sind ein Reizthema für mich“, sagt sie. Zwar hätte es viele Innovationsschübe gegeben, aber dann auch einen Stillstand. Bestimmte Ähnlichkeiten zwischen dem hitlerischen und stalinistischen Repressionssystem beispielsweise seien einfach nicht diskutiert worden, kritisiert sie.
Mit ihrer Arbeit bei der Topographie des Terrors möchte Gabriele Camphausen „Erinnerungen an einen historischen Ort wecken“. An einen Ort, wo sich die Machtzentrale befand, wo die Täter planten und arbeiteten. Ein Holocaust-Mahnmal als Erinnerungsarbeit hält sie jedoch für nicht wirklich geeignet: „Man muß noch viel mehr öffentlich überlegen, was für ein Sinn ein solches Denkmal hat.“
Camphausen meint damit PolitikerInnen, KünsterInnen, auch sich selbst. Sie hofft, daß die Denkmalschaffenden nicht an ihrem „eigenen Anspruch ersticken, etwas so Großes, Einmaliges zu schaffen“. Angetan hat es ihr dennoch der verzerrte Davidstern der Architektin Gesine Weinmiller, weil er am „sperrigsten“ sei. Genauso wie der Neubau der Topographie des Terrors.
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