piwik no script img

Männliche Morgenmantelphantasien

■ Weniger als lau: Die Compagnie Raz eröffnet die 2. independancedays auf Kampnagel

Manche Menschen lassen einen Fön in die Badewanne fallen und sind sofort tot. Das ist schrecklich. Andere krabbeln sechzig Minuten durchs wasserfreie Bad und lassen dabei 200 Zuschauer an Langeweile verdörren. Das ist auch nicht schön. Aber geschehen, vorgestern bei der Eröffnung der 2. independancedays auf Kampnagel.

Bagno Blu heißt die Choreographie des Niederländers Hans Tuerlings, die erschreckenderweise die erste von 16 ist, die der Choreograph mit seiner 1990 gegründeten Compagnie Raz über das Leben und die Villa Gabriele D'Annunzios plant. Der italienische Dichter, Politiker und Mussolini-Freund kam allerdings im ersten Teil der Serie, dem Blauen Bad, nicht erkennbar vor. Denn während D'Annunizio als Exzentriker, Draufgänger und Frauenheld bekannt war, tanzte Jan Zobel eine in-sich-gekehrte, fast ätherische Figur, der man keinen Angriff zutraut – nicht auf Frauen und schon gar nicht auf ein jugoslawisches Dorf, womit der echte D'Annunzio einige Berühmtheit erlangte und ganz nebenbei noch den später als solchen bekannten Hitlergruß erfand.

Dabei möchte es Raz nicht an Sinnlichkeit fehlen lassen. Zu Beginn ein Sommergewitter mit orgiastischem Donner, dann zwei Frauen in samtroten Morgenmänteln mit selbstverständlich nichts darunter. Sie umkreisen den blonden Langhaarigen, der permanent mit sich selbst redet und vereinzelt eruptiv „Hopp! Hopp!“ausstößt. Der zweite Höhepunkt kommt dann, als zum sentimentalen Piano – etwa: Richard Clayderman spielt „Falling in Love“– eine der Grazien den Dutt löst und ihr langes Haar auf die Schultern fallen läßt.

Das stark begrenzte Bewegungsrepertoire, das die Frauen zu weich geschmeidigen Kätzchen und den Mann zum Yamamoto-Kleiderständer degradiert, das sich ohne Überraschung wiederholt und vor allem durch das Lüpfen der Morgenmäntel auszeichnet, läßt weniger auf das italienische Bad des Dichters als auf universelle Mittfünziger-Männer-Phantasien schlie-ßen. Eine enttäuschende Festivaleröffnung, der hoffentlich positive Überraschungen folgen.

Christiane Kühl

bis Sonntag, 20.30 Uhr, Kampnagel k2

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen