: Indonesiens Gerüchteküche vor dem Überkochen
■ Die Zeiten des kränkelnden Diktators Suharto gehen zu Ende. Indonesiens Wirtschaftskrise ist längst auch zur politischen Krise geworden, die mit dem 76jährigen aufs engste verbunden ist
Berlin (taz) – Die Forderungen nach einem Rücktritt des seit über 30 Jahren amtierenden indonesischen Präsidenten Suharto werden immer lauter, die in Indonesien brodelnden Gerüchte immer wilder. Gestern wurde erstmals in der englischsprachigen Jakarta Post der Rücktritt des kränkelnden 76jährigen gefordert. Zwar hat Indonesiens englischsprachige Presse einen größeren Spielraum als die Blätter in der Landessprache. Doch bisher waren Rücktrittsforderungen in den Medien undenkbar. Im März will sich Suharto zum siebten Mal ohne Gegenkandidaten zum Präsidenten küren lassen. Doch gestern forderte ausgerechnet das ehemalige Kabinettsmitglied Mohammed Sadli in der Jakarta Post eine neue Regierung. Die sei nötig, um das internationale Vertrauen in den Staat wiederherzustellen, so Sadli.
Der Politologe Arbit Sanit schloß sich im gleichen Blatt der Forderung an. Weil Indonesien große Wirtschaftsprobleme habe, müsse der neue Präsident einen guten Ruf haben, glaubwürdig sein, breite Unterstützung im Volk haben und über Regierungserfahrung verfügen. Erstmals hatte sich Ende Dezember der Muslimführer Armien Rais mit einer Rücktrittsforderung an Suharto als Kandidat ins Spiel gebracht. In der Vergangenheit hatte Suharto alle potentiellen Gegenkandidaten ausgesschaltet, zuletzt Megawati Sukarnoputri, die Tochter des ersten Präsidenten Sukarno.
Der 52jährige Rais verfügt mit der muslimischen Organisation Mummadiyah mit 25 Millionen Mitgliedern über eine ernstzunehmende Massenbasis. Ob er die von Sanit geforderten Qualitäten aufweist, ist zweifelhaft. Indonesiens Opposition eint allein die Ablehnung Suhartos. Der Präsident selbst hat keinen Nachfolger aufgebaut. Er verstand es, in seiner Machtbasis aus Militärs, Günstlingen und Technokraten soviel Zwietracht zuzulassen, daß er selbst unersetzlich scheint. Viele Indonesier befürchten mit Suhartos Ende eine Welle der Gewalt ähnlich wie in der Folge von Indonesiens bisher einzigem Machtwechsel. 1965/66 starben bis zu einer Million Menschen.
Gestern erneuerte das Militär seine Warnung, hart durchzugreifen, sollte es zu Unruhen kommen. Das Oberkommando erklärte, noch sei die Lage unter Kontrolle, und kündigte an, wegen der Wirtschaftskrise vorerst auf den Kauf von zwölf russischen Kampfflugzeugen zu verzichten. Generalstabschef Feisal Tanjung werden selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt.
Verstärkten am Donnerstag Putschgerüchte die durch den dramatischen Währungsverfall ausgelösten Hamsterkäufe, kursierten gestern Gerüchte über eine Flucht von Suhartos Familie. Es hieß gar, die Präsidentenfamilie sei nach Deutschland geflohen. Dies wurde sowohl vom Auswärtigen Amt wie von Indonesiens Botschaft in Bonn dementiert. Suharto wird von Helmut Kohl als „Freund“ bezeichnet und ließ sich 1996 in einer deutschen Klinik behandeln.
Während die Regierung in Jakarta gestern dementierte, der Präsident habe im Dezember einen Schlaganfall erlitten, erreichte die taz ein neues Gerücht. Demnach soll sich Suhartos ältester Sohn Sigit Harjojudanto nach Singapur abgesetzt haben. Die brodelnde Gerüchteküche zeigt das geringe Vertrauen in die Führung des Landes. Derzeit wird offenbar fast alles für möglich gehalten.
Nach den drastischen Kursverlusten der Landeswährung Rupiah vom Vortag kündigte Suharto gestern an, die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) rasch zu erfüllen. Daran hatten bisher auch US-Präsident Bill Clinton und der IWF ihre Zweifel. Per Telefon drängte Clinton gestern Suharto zur Einhaltung des IWF- Programms. Am Montag will IWF- Chef Michel Camdessus persönlich nach Jakarta reisen. Obwohl sich der Rupiah-Kurs gestern etwas erholte, gingen die Hamsterkäufe weiter. Sven Hansen
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