: Eine richtige Meute von Bluthunden
■ Gerd Albrecht, Ex-Direktor der Hamburgischen Staatsoper, leitet heute abend das Bundesjugendorchester
Schon einmal hinterließen die jungen Leute einen hervorragenden Eindruck: Als sie beim ersten Musikfest 1989 in Bremen debutierten. Damals fiel bei den SpielerInnen des Bundesjugendorchesters eine außerordentliche Spannung auf, die das seit 1969 bestehende Orchester bis heute charakterisiert. Kein Wunder, gilt es doch als einmalige Chance und Auszeichnung, in diesem Orchester mitspielen zu können. Denn die hochbegabten jungen Leute sind keineswegs nur abgeschlossene oder fortgeschrittene StudentInnen, sondern auch SchülerInnen: diesmal ist die Jüngste vierzehn Jahre alt. Viele sind PreisträgerInnen der Landes- und Bundeswettbewerbe „Jugend musiziert“.
Heute abend spielt das Orchester in Bremen ein Mozart-Wagner-Programm. Ouvertüre und Venusbergmusik aus „Tannhäuser“, die Ouvertüren zu „Meistersinger von Nürnberg“und „Rienzi“enthalten orchestertechnisch enorme Schwierigkeiten, „aber die wollten unbedingt Wagner spielen“, so der Dirigent des Konzertes, Gerd Albrecht, langjähriger Direktor der Hamburgischen Staatsoper. Dazu gibt es Mozarts „Prager Sinfonie“und zwei Arien von Mozart, die Helen Kwon, Mitglied der Hamburgischen Staatsoper, singt. Gerd Albrecht ist im Deutschen Musikrat für die Tourneen und die DirigentInnen des Bundesjugendorchesters zuständig.
Gefragt, was ihn als Profi an dieser Dirigierarbeit fasziniert, sagt er: „Die spielen wie Berserker. Das ist eine richtige Meute von Bluthunden, die man kaum halten kann, weil sie Fleisch riechen. Etwas anders gesagt: die Lust, die unglaubliche Motivation, es gibt für mich kein größeres Vergnügen“.
Das Bundesjugendorchester produziert drei Tourneen pro Jahr und repräsentiert damit im In- und Ausland die musikalische Jugendbildung in Deutschland. Es wird geleitet von DirigentInnen, die „nicht aufs Geld gucken, die nur um der Sache willen arbeiten, die mit jungen Menschen umgehen können und die voll professionell sind“, so Gerd Albrecht. Da sich diese Bedingungen häufig gegenseitig ausschließen, ist es nicht einfach, DirigentInnen zu finden. „Hinzu kommt, daß man den jungen Leuten nichts vormachen kann. Die merken alles und lehnen von sich aus manchen nach einer Tournee ab“.
Wer macht denn die Programme und wählt SolistInnen und DirigentInnen aus? „Das macht der Deutsche Musikrat, also unter anderem ich, aber es gibt keinen Wunsch und keinen Einwand aus dem Orchester, der nicht berücksichtigt würde“.
So ist es eigentlich logisch, aber auch auffällig, daß die direkten Nachfolgeorchester des Bundesjugendorchesters, zum Beispiel die Junge Deutsche Philharmonie, das Ensemble Modern oder auch die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen basisdemokratische Strukturen haben.
Gerd Albrecht hat sich nicht nur hier für die Jugendarbeit eingesetzt. Er hat als Kinderbuchautor die Stiftung „Klingendes Instrumentenmuseum für Kinder“gegründet und meint, daß es heute neben der Misere des Musikunterrichtes generell auch einfach an charismatischen Lehrern fehlt. Für die Zukunft der Musik, der Orchester, sieht er „sehr schwarz“. „Alles, was jetzt und demnächst kaputt geht, wird sich nicht mehr aufbauen lassen, wenn uns nicht etwas einfällt“. Deswegen hat er 1997 seinen Hamburger Vertrag nicht mehr verlängert, da er „von außen die Formationen mehr aufbrechen kann“. Sein nächstes großes Projekt ist die Gesamteinspielung aller Mozart-Sinfonien mit dem Prager Kammerorchester.
Ute Schalz-Laurenze
heute abend, 20 Uhr in der Glocke
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